Bei Tschernobyl zwitschern nun dunklere Vögel

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Tiere, die ihr Gefieder orangerot mit einem Antioxidans schmücken, leiden unter der Strahlung. Tschernobyl ist erstaunlich wenig untersucht und zudem höchst umstritten.

Wie reagiert die Natur auf langfristig überhöhte radioaktive Strahlung wie in Fukushima? Im Labor kann man das nicht erkunden, man braucht einen Präzedenzfall. Aber der, Tschernobyl, ist erstaunlich wenig untersucht und zudem höchst umstritten: „Ein einzigartiger Zufluchtsort für die Biodiversität“ sei die gesperrte Zone, urteilte 2006 das „Tschernobyl-Forum“, ein Expertengremium von UNO und Weltgesundheitsorganisation: Viele Wildtiere haben sich stark vermehrt, seit die Zone von jeder Nutzung – auch von der Jagd – frei ist.

„Völlig irrational“ sei dieses Bild, entgegnet Biologe Timothy Mousseau (University of South Carolina). Gemeinsam mit Anders Møller (Paris) ist er seit Jahren fast allein an der Forschungsfront, die beiden haben schon viele Effekte der Strahlung dokumentiert, vor allem an Vögeln. An denen ist nun ihnen und Ismael Galván (Biologische Station Doñana, Sevilla) wieder etwas aufgefallen: In der verstrahlten Zone hat sich die Verteilung der Vögel geändert. Die Arten mit orangeroten Federn sind zurückgegangen, die mit braunen und schwarzen haben zugelegt.

Was hat das mit der Strahlung zu tun? Die Farbe von Federn (und Haaren) wird unter anderem von zwei Typen des Pigments Melanin bestimmt, Eumelanin und Phäomelanin. Ersteres bringt Vögeln wie Amseln die dunkleren Töne, Letzteres färbt Vögel wie Wiedehopfe (und Rothaarige). Das mag schmücken und möglicherweise vor UV-Strahlung schützen, aber es hat einen Preis: Die Synthese von Phäomelanin braucht Glutathion, das ist ein Tripeptid, das aus den Aminosäuren Glutaminsäure, Cystein und Glycin gebildet wird.

Und Gluthation wird vom Körper primär nicht als Schmuck, sondern zum Schutz produziert: Das Molekül ist eines der wichtigsten Antioxidantien, es entschärft zellschädigende freie Radikale. Die entstehen etwa durch radioaktive Strahlung. Also sollte unter ihr stärker leiden, wer Gluthation zum Färben einsetzt, er hat dann weniger als Antioxidans zur Verfügung.

Viel Schmuck – wenig Schutz

Das war die Hypothese der Forscher, sie bestätigte sich an 97 Arten, die um Tschernobyl herum über vier Jahre gefangen wurden: In stärker verstrahlten Regionen wurden 64 Arten seltener, 33 haben ihre Populationen vergrößert. Dabei litten die orangeroten Arten, die dunkel gefärbten profitierten, sie nahmen die Plätze ein (Oecologia, 165, S.827). Allerdings spielte auch anderes mit: Größere Vögel litten stärker. Das steht in Widerspruch zu einem früheren Befund von Møller/Mousseau, dort sahen sie die Kleineren rascher gehen. So geht es den beiden öfter, sie müssen revidieren, ihre Befunde sind nicht unumstritten. Vor allem ukrainische Biologen, die früher mit ihnen zusammenarbeiteten, kritisieren sie heute heftig (Wired, 14.4.). Aber Mousseau ist schon mit neuen Partnern im Gespräch, er plant Studien um Fukushima.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2011)

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