Hirnforschung: Imitieren um jeden Preis

(c) REUTERS (DENIS BALIBOUSE)
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Spiegelneuronen äffen Bewegungen anderer auch dann nach, wenn es widersinnig ist. Zwischenzeitlich gab es Zweifel an der Existenz, beziehungsweise der Funktion der Zellen. Jetzt erleben sie eine Renaissance.

Wenn wir andere gähnen sehen, gähnen wir auch; und wenn wir andere lachen hören, lachen wir auch, vor allem, wenn der Chef damit begonnen hat. Das mag soziale Gründe haben – von der Gruppe erzwungen sein und/oder ihren Zusammenhalt stärken –, aber wir imitieren auch schlichte Gesten. Und nicht nur wir tun es: Als Pier Ferrari (Universität Parma) 2006 seinen Versuchstieren – Rhesusaffen – die Zunge herausstreckte, machten sie das Gleiche. Damit hatte der Forscher eine hübsche Bestätigung eines Fundes aus den 1990er-Jahren. Damals hatte er bemerkt, dass in den Gehirnen der Affen die gleichen Zellen aktiv wurden, wenn sie selbst eine Bewegung planten bzw. ausführten und wenn sie andere die Bewegung ausführen sahen oder planen ahnten.

Die „Spiegelneuronen“ waren geboren, sie wurden bald wahre Wundertiere, die das Einfühlungsvermögen erklären sollten. Neurologe Ramachandran (UC San Diego) erklärte sie zu „Dalai-Lama-Neuronen, welche die Grenze zwischen dir und deinem Gegenüber auflösen; Umweltaktivist Rifkin wollte mir ihrer Hilfe „das empathische, das biosphärische Bewusstsein“ wecken und die Welt retten.
Inzwischen hat sich die Euphorie ein wenig gelegt; es gab Zweifel an der Existenz bzw. der Funktion der Zellen, es gab widersprüchliche Befunde. Aber jetzt sind sie wieder da und „spiegeln“ selbst dort, wo es sinnlos oder gar widersinnig ist: Lisa Aziz-Zadeh (University of Southern California) hat die Gehirnaktivitäten einer Frau mittleren Alters beobachtet, die seit Geburt keine Gliedmaßen hat. Man ließ sie Videos betrachten, in denen Menschen mit Gliedmaßen verschiedene Bewegungen ausführten. Dabei spiegelten ihre Neuronen nicht nur Bewegungen, die sie selbst ausführen konnte, sondern auch solche, die ihr zeit ihres Lebens nicht möglich waren, etwa das Nähen mit einer Nadel (Cerebral Cortex, 6. 7.).

Gegen das eigene Interesse

Noch frappierender ging ein Experiment aus, in dem Richard Cook (University College London) das Handgestenspiel „Schere, Stein, Papier“ spielen ließ. Dabei kann nur gewinnen, wer den anderen nicht imitiert. Und doch zuckten die Hände öfter imitierend, als es durch Zufall erklärbar wäre. „Auch wenn es gegen unsere Interessen ist, können wir das ,automatische Imitieren‘ oft nicht abwehren“, schließt der Forscher und warnt davor, in spieltheoretischen Experimenten – in denen getestet wird, wie Entscheidungen fallen – solche Effekte außer Acht zu lassen (Proc. Roy. Soc. B, 15. 7.).

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