Biologie: Doping für die Pflanzen

Doping fuer Pflanzen
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Pflanzen passen sich mit ihren Hormonen an die jeweiligen Umweltbedingungen an, die sie umgeben. Ein Team am Wiener Zentrum für Molekulare Biologie ist den Prozessen auf der Spur.

Was machen Sie im Sommer, wenn es Ihnen zu heiß ist? Das Einfachste und Schnellste: sich in den Schatten zurückzuziehen. Das gilt nicht für Pflanzen, die im Boden fest verankert und damit den Umweltbedingungen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Für sie sind großräumige Bewegungen keine Möglichkeit, um auf sich verändernde Lebensbedingungen wie Hitze, Kälte, Licht oder Dunkelheit zu reagieren.

Und dennoch gehen Pflanzen nicht gleich ein, wenn die Bedingungen unvorteilhaft werden. Komplexe Mechanismen im Inneren laufen an, die Anpassungen ermöglichen. „Um zu überleben, muss sich die Pflanze an Umweltverhältnisse anpassen. Sie kann ihre Entwicklung entsprechend verändern, z.B. sich strecken, wenn zu wenig Licht vorhanden ist“, sagt Pflanzenmolekularbiologin Brigitte Poppenberger, die mit ihrer Arbeitsgruppe an der Uni Wien im Rahmen von FWF-Projekten aufklärt, wie sich Pflanzen vor äußeren Einflüssen schützen.

Hormone als Doping.
Im Mittelpunkt stehen Steroidhormone, die schon in geringer Konzentration Wirkungen zeigen. Wir Menschen kennen Steroide nur allzu gut. Cholesterin ist das wichtigste unter ihnen, aus dem über verschiedene Stoffwechselwege die Geschlechtshormone Testosteron und Östrogene entstehen. Künstliche Steroidhormone sind etwa Anabolika, die als Dopingmittel immer wieder für Aufregung sorgen. Poppenberger beschäftigt sich mit einer ganz bestimmten Gruppe von Steroidhormonen, den Brassinosteroiden, die das Wachstum und die Entwicklung der Pflanzen steuern und regulieren.

Den Namen haben die Hormone vom Raps, Brassica napus, aus dem diese Verbindungen im Jahr 1979 das erste Mal isoliert wurden. Brassinosteroide werden vor allem mit dem Streckungswachstum der Pflanzen und deren Entwicklung im Dunkeln in Zusammenhang gebracht. Eine Pflanze, die zu wenig von den Hormonen enthält, kann sich dem Licht nicht entgegenstrecken und bleibt zwergwüchsig. Derartige Pflanzen entwickeln fast keine Samen und pflanzen sich daher nur mäßig fort. Aber auch ein Überschuss an diesen Steroidhormonen führt zu abnormalen Pflanzenwachstum.

Verändern sich also die Temperatur- oder Lichtverhältnisse, reagiert die Pflanze, indem sie die Hormonkonzentrationen im Pflanzeninneren anpasst. D.h., es werden entweder mehr oder weniger Brassinosteroide produziert oder die vorhandenen Hormone gehemmt. Das stellt sicher, dass die Pflanze nur wächst oder keimt, wenn die Umweltbedingungen günstig sind, keine Energie unnötig vergeudet wird.

Wie dieses Hormongleichgewicht („Homöostase“) funktioniert, welche genetischen Mechanismen dahinterstecken, das untersuchen Poppenberger und ihr Team. „Uns ist es gelungen, ein Protein zu identifizieren, das bei der Regulation der Brassinosteroid-Biosynthese eine wichtige Rolle spielt“, freut sich die Molekularbiologin.

Forschungsobjekt war ein Pflänzchen der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), einer Modellpflanze der Pflanzengenetik, die eine von der Norm abweichende Entwicklung zeigte. „Ihre Blätter waren nach außen gekrümmt und die Blattstiele viel länger als normal“, beschreibt Poppenberger. „Das sind charakteristische Merkmale von Pflanzen, die zu viel Brassinosteroide produzieren. Die Zellen strecken sich unkontrolliert.“ Poppenberger und Mitarbeiter wollten herausfinden, was an dieser DNA und Proteinzusammensetzung anders war als bei normalwüchsigen Pflanzen. Es fand sich eine erhöhte Konzentration eines Proteins, das die Biosynthese der Brassinosteroide reguliert. Die Wissenschaftlerin nannte das Protein Cesta, weil die Blätter dieses besonderen Ackerschmalwand-Pflänzchens im Aussehen dem Fangkorb Cesta des baskischen Ballspiels Pelota ähneln.

Wie ein Fangkorb. „Cesta steuert die Expression vieler Enzyme, setzt also eine ganze Enzymkaskade in Gang, an deren Ende u.a. die Produktion von Brassinosteroiden steht“, so Poppenberger. Wird zu viel Cesta hergestellt, nimmt auch die Menge an diesen Steroidhormonen zu, die Pflanze wächst stärker, wird größer, blüht stärker und bringt dadurch auch einen höheren Ertrag. Daher spitzt natürlich die Landwirtschaft sofort ihre Ohren: Das ließe sich doch sicher wirtschaftlich vermarkten.

„Dass Brassinosteroide die Stressresistenz sowie das Wachstum und damit den Ertrag der Pflanzen steigern, ist schon länger bekannt und wurde auch schon technisch angewandt.“ In den 1980er-Jahren wurden Pflanzen mit Brassinosteroiden besprüht. Die gewollte Ertragssteigerung stellte sich zwar ein, aber der Nutzen stand in keinem Verhältnis zu den Kosten dieser Anwendung – so wurde diese Methode nicht weiterverfolgt.

Poppenberger, deren Vater Gärtner ist und die daher von klein auf an der Pflanzenentwicklung interessiert war, möchte jedoch nicht nur Grundlagen erforschen, sondern auch deren Ergebnisse für die Pflanzenproduktion nutzbar machen. Eine Möglichkeit wäre natürlich, Pflanzen zu züchten, die vermehrt Cesta und daher Brassinosteroide herstellen.

Aber nicht immer ist ein verstärktes Pflanzenwachstum erwünscht. So kann es zum Beispiel bei Getreide in bestimmten Fällen sogar die Erträge mindern. Getreidepflanzen, die zu hohe Halme entwickeln, knicken oft um und sind anfälliger für Krankheiten. Außerdem stecken sie ihre Energie in das Wachstum der Halme und nicht in das der Ähren. „Daher ist auch eine Reduktion an Brassinosteroidhormonen bei bestimmten Anwendungen von möglichem Interesse. Es wird deshalb daran gearbeitet, Methoden zu entwickeln, die eine gezielte Steuerung – sowohl eine Anregung als auch eine Hemmung – der Hormonwirkung ermöglichen“, so Poppenberger.

Abgesehen von der landwirtschaftlichen Anwendbarkeit der Forschungsergebnisse erhofft man sich auch Parallelen zwischen den pflanzlichen, tierischen und menschlichen Steroidhormonen zu entdecken. „Wenn man einen Stoffwechsel- oder Signalübertragungsweg in einer Pflanze versteht, dient dies oft auch dem besseren Verständnis ähnlicher Mechanismen bei anderen Organismen“, sagt Poppenberger. „Steroidhormone sind auch bei Mensch und Tier für das Wachstum und die Entwicklung wichtig.“


Umzug. Ihre Forschungen wird die Molekularbiologin ab Oktober 2011 jedenfalls nicht mehr in Wien, sondern in Deutschland fortsetzen, wo ihr günstigere Forschungsbedingungen geboten wurden. Sie tritt eine Professur für Biotechnologie gartenbaulicher Kulturen an der Technischen Universität in München an. „Vor drei Jahren gab es am Zentrum für Molekulare Biologie noch zwölf Forschungsgruppen, die sich molekularbiologisch mit Pflanzen beschäftigten“, so die Wissenschaftlerin, die an der Uni Wien für sich und ihr Forschungsfeld keine Zukunft mehr sieht. „Mit nächstem Jahr werden es nur mehr vier Arbeitsgruppen sein. Es kam zu einem Kahlschlag der Pflanzengenetik, die Schwerpunkte am Zentrum für Molekulare Biologie wurden verlagert.“ Mehrere Gruppen wanderten ins Ausland ab, so auch Poppenbergers Team, das sie fast geschlossen nach München begleiten wird.

Arabidopsis

Die AckerschmalwandArabidopsis thaliana wird von Molekularbiologen erforscht (links das normale Aussehen). Bei der Pflanze rechts waren die Blätter wie ein baskischer Fangkorb geformt: Daher nannten die Forscher das darin gefundene Protein „Cesta“. Uni Wien

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2011)

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