Schimpansen sind auch nicht besser als wir

Unsere Vettern Schimpansen sind
Unsere Vettern Schimpansen sind(c) EPA (Mick Tsikas)
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Wie nahe die nächsten Verwandten uns stehen, ist umstritten. Fest steht, dass außer uns nur sie ihre Nachbarn überfallen und erschlagen.

„Kann ein Affe einen Satz bilden?“ Das fragte 1979 Herbert Terrace, Kognitionsforscher an der Columbia University, in Science, nein, er formulierte härter: „Can an Ape Create a Sentence?“ (206, S.891). Seine Antwort fiel negativ aus, entgegen den eigenen Erwartungen: Terrace hatte einer Schimpansin ihr zehn Tage altes Baby weggenommen, es „Neam Chimpsky“ getauft – kurz: „Nim“ – und von einer befreundeten Familie aufziehen lassen wie ein Menschenkind, die Mutter nährte es an der Brust. Nim wurde gekleidet wie ein Kind, entwickelte sich wie ein Kind – Ödipus inklusive, der Mann der Ziehmutter bekam es zu spüren –, nur sprechen lernte er nicht, das geht bei Schimpansen physiologisch nicht, ihr Kehlkopf sitzt anders als bei uns.

Aber ginge es von ihrer Intelligenz her? Nim sollte es klären, und zwar im positiven Sinn, sein Name klang nicht zufällig an den des Linguisten Noam Chomsky an: Seit den 50er-Jahren galt dessen Dogma, dass Menschen – und nur sie – von Geburt an ein Sprachprogramm im Gehirn haben. Aber Terrace war Schüler des Behavioristen Skinner, der davon ausging, dass man Tieren vieles eintrichtern kann, auch das Sprechen. Und wenn nicht mit dem Mund, dann eben mit den Händen, Nim erhielt Unterricht in Gebärdensprache. Er entschied den Streit – zugunsten von Chomsky: Einzelne Zeichen verstand und gebrauchte Nim zwar, aber Sätze bilden konnte er laut Terrace nicht.

Das blieb umstritten, und bis heute ist nicht klar, wie nahe uns die Vettern stehen: Wieder gibt es zwei Lager, eines um Michael Tomasello (Leipzig) sieht grundlegende Differenzen zwischen den beiden Arten. Im jüngsten Experiment zeigte sich, dass Schimpansen ihren Mitschimpansen nichts freiwillig abgeben – kein Futter, kein Spielzeug –, das tun nur Menschen, auch ganz junge (Nature, 20.7.). Diese Woche schlägt die Gegenseite zurück, sie konzediert allenfalls graduelle Differenzen und schart sich um Frans de Waal (Emory): In dessen letzter Versuchsanordnung erweisen sich Schimpansen durchaus als freigiebig (Pnas, 8.8.). Es liegt viel am Design der Experimente, viel auch am Blick des Betrachters, die Gefahr der Anthropomorphisierung ist groß: Marc Hauser, lange einer der führenden Kognitionsforscher, sah allzu Menschliches in seinen Versuchsaffen und musste deshalb gerade sein Labor in Harvard räumen.

Kalaschnikows in Affenhänden?

Ab 11. August kann man auch den eigenen Blick prüfen: Im „Planet der Affen – Prevolution“ führen Schimpansen Krieg gegen Menschen, mit deren Waffen, Kalaschnikows. Könnten Affen damit schießen? Im Gewehrgebrauch trainieren könnte man sie, erklären Experten, aber sie würden wohl keinen Zusammenhang zwischen dem Abdrücken und dem Umfallen eines entfernten Gegners herstellen. Zumindest der Hauptschimpanse in „Prevolution“ – „Cäsar“ – könnte es sicher doch, er ist ein halber Mensch, Forscher haben ihm Teile unseres Gehirns eingepflanzt, um Alzheimer zu studieren. (Diese Perspektive gibt es, eine britische Expertenkommission hat gerade empfohlen, derartige Experimente zu verbieten).

Aber echte Schimpansen? Sie sind uns in den letzten Jahren immer nähergerückt, am Ende hielt noch eine, wenig schmeichelhafte Grenze: Nur Menschen führen Kriege, überfallen ihre Nachbarn und schlagen sie tot. Dazu ist außer uns niemand imstande, auch die engsten Verwandten sind es nicht. Ach was! Dem Mythos der sanften Verwandten musste Jane Goodall 1979 ein Ende bereiten, sie hatte als erste Weiße beobachtet, dass auch Schimpansen „barbarische Killer“ werden können. Auch sie schlagen Nachbarn tot, tückisch aus dem Hinterhalt, und nur wenn sie viele gegen einen sind.

Darf man so moralisieren: „barbarisch“, „tückisch“? Man muss, sie sind uns gar zu ähnlich, ganz gleich, ob sie nun Sätze kreieren können oder nicht. Auch davon kann man sich ein Bild machen, zumindest in den USA und England. Dort läuft eine Dokumentation von James Marsh über Nim und seinen Herrn. Terrace, immer noch Kognitionsforscher an der Columbia University, ist nicht amused, er wird als karrieregeiler Forscher gezeigt, der Nim sein Leben stahl und ihn nach Gebrauch wegwarf: Als er im Uni-Labor ausgedient hatte, kam er zur Pharmaindustrie, später doch an einen Zufluchtsort. Dort starb er am 22. März 2000 an Herzinfarkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2011)

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