Gute Verständigung im Ärztezimmer

Gute Verstaendigung aerztezimmer
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Wiener Sprachwissenschaftler untersuchen, welche Probleme bei der Verständigung zwischen Ärzten und Patienten auftreten können. Sie haben herausgefunden, dass Männer ihre Schmerzen anders beschreiben als Frauen.

Wenn ich selbst zum Arzt gehe, schreibe ich mir auf, was ich sagen will. Und nicht einmal dann bringe ich alle Punkte an, weil das Gespräch oft anders verläuft, als ich mir vorgestellt hatte.“ Das klingt nach Smalltalk im Wartezimmer. Ist es aber nicht. Denn Florian Menz forscht als Sprachwissenschaftler seit Jahrzehnten daran, was passiert, wenn ein Patient zum Erstgespräch zum Arzt geht.

Das Fachgebiet nennt sich „Medizinische Kommunikation“ und hat international hohe Aufmerksamkeit: Hierzulande wundert man sich vielleicht, dass nicht nur Therapien und Arzneiwirkung im Zentrum von Forschungen stehen, sondern auch das Gespräch zwischen Ärzten und Patienten. „Im angloamerikanischen Raum wird auf ein korrekt geführtes Arztgespräch mehr Wert gelegt. Studien haben gezeigt, dass mit einer gelungenen Kommunikation die Verweildauer im Spital kürzer ist und es zu weniger Komplikationen im Verlauf der Erkrankung kommt“, erklärt Menz.


Männer und Frauen. Mit seinen Mitarbeitern Marlene Sator, Martin Reisigl, Karin Wetschanow und Johanna Lalouschek vom Institut für Sprachwissenschaft der Uni Wien transkribierte und analysierte Menz hunderte Tonaufnahmen von Erstgesprächen aus Arztpraxen und Ambulanzen. „In einer früheren Studie an der Rudolfstiftung hatten wir herausgefunden, dass es starke Unterschiede zwischen Männer und Frauen gibt, wie sie ihre Schmerzen beschreiben“, erzählt Menz.

Damals ging es um Brustschmerzen, die u.a. bei einem Herzinfarkt auftreten. „Frauen erzählen von ihren Schmerzen viel mehr aus dem Kontext, sie bauen ihr Umfeld in die Beschreibung ein.“ Da hörten die Ärzte etwa: „Der Schmerz war so stark, dass ich mein Enkerl nicht mehr hochheben konnte“ oder „Ich habe die Stiegen nicht mehr raufgehen können.“ Männer hingegen versuchen, den Schmerz symptomorientiert und konkret darzustellen: Ein Stechen oder Pochen wird mit exakter Dauer und Schmerzstärke beschrieben. „Die Ärzte und sogar die Ärztinnen erwarten eher von den Patienten eine Beschreibung, wie Männer sie liefern. Bei weniger symptomorientierten Darstellungen werden sie oft grantig. Das kann aber leider zu schlechteren Diagnosen und Behandlungen führen“, führt Menz aus.

Im folgenden Projekt wurden Patientengespräche aus der Kopfschmerz-Ambulanz im AKH ausgewertet: „Der Eindruck, dass Frauen ihre Schmerzen diffuser darstellen, hat sich dabei nicht bestätigt.“ Bei der eher „weiblichen“ Krankheit Migräne (chronische Kopfschmerzen treffen wirklich vermehrt Frauen) zeigte sich, dass betroffene Frauen ihre Schmerzen viel differenzierter beschreiben und ein größeres Repertoire an Metaphern bereit haben als Männer, um die Art des Schmerzes in Worte zu fassen.

„Doch diese große Bandbreite macht es den Ärzten schwer, es in ihren medizinischen Begriffen zu verstehen.“ Die Sprachwissenschaftler nennen die Diskrepanz zwischen der Wortwahl der Patienten und den Begriffen der Mediziner „Passungsschwierigkeiten“: Dann kann es passieren, dass der Arzt dem Patienten Formulierungen in den Mund legt, die er so nicht gewählt hätte.

„Das Problem bei chronisch Kranken ist, dass sie in ihrer eigenen Erkrankung schon Experten sind. Schließlich leben sie seit Jahrzehnten mit den Schmerzen. Dann treffen sie auf die medizinischen Experten und haben Verständigungsschwierigkeiten“, so Menz. Daher plädieren er und sein Team dafür, dass die Patienten stets ihr Anliegen formulieren sollen, was sie sich von dem Erstgespräch überhaupt erwarten, bzw. dass die Ärzte diese Frage gezielt in das Gespräch einbauen. „Wenn für beide Seiten klar ist, warum man in die Ambulanz kommt und was man sich erhofft, wird weniger aneinander vorbei geredet. Damit ist beiden Seiten geholfen.“

Das Aneinander-Vorbeireden passiert noch öfter, wenn die Patienten nicht Deutsch als Muttersprache haben. „Waren Sie schon mal im Urlaub beim Arzt? Dann wissen Sie, wie schwer es ist, Schmerzen in einer Fremdsprache zu vermitteln“, sagt Menz. Im aktuellsten FWF-Projekt konzentrierten die Sprachwissenschaftler sich auf Erstgespräche aus der Kopfschmerz-Ambulanz von Patienten mit Migrationshintergrund (etwa 50 Prozent waren türkische Personen, 50 Prozent bosnisch, kroatisch, serbisch).

„Damit kamen wir auch einem Bedürfnis der Ärzte nach: Denn bei aller Mühe, die sich Ärzte geben, kommt es da zu den meisten Schwierigkeiten.“ So führt etwa die sogenannte „Verständnissicherung“ zu Missverständnissen: „Wenn der Arzt spricht und der Patient nickt und ,m-hm‘ sagt, denkt der Arzt, der Patient hätte alles verstanden“, sagt Menz. Doch oft wollen Personen, die nicht gut Deutsch können, mit diesem Verhalten nur ausdrücken, dass sie zuhören und die Autorität des Arztes anerkennen. Daher sollten Ärzte viel gezielter die Frage einbauen, ob alles verstanden wurde. „Die Strategie sollte man eigentlich in jedem Gespräch verfolgen“, schmunzelt Menz: deutlich sprechen und Wichtiges wiederholen. „Man könnte auch Zeichnungen und Skizzen stärker verwenden. Auch Gesten sind sehr wichtig. Gerade bei Kopfweh kann man leicht hindeuten, wo und wie es weh tut.“

Viele ausländische Mitbürger kommen auch mit Laiendolmetschern in die Ambulanz, meistens Familienmitgliedern, die besser Deutsch können. „Wir haben diese Personen gefragt, ob sie beim nächsten Mal eine professionelle Krankenhausdolmetscherin dabei haben wollen.“ Im Vergleich zeigte sich, dass bei den Laiendolmetschern zu oft das mitgebrachte Familienmitglied statt des Patienten spricht: Es wird stets über den Patienten in dritter Person gesprochen, statt mit ihm. „Und viele bringen ihre eigenen Anliegen plötzlich ein. Aber das passiert mit Österreichern, die von jemandem begleitet werden, auch. Dann erzählt die Begleitperson dem Arzt, welche Schmerzen sie gerade plagen.“


Weniger Gesprächszeit. Professionelle Dolmetscher sprechen hingegen in der „Ich-Person“, also für den Patienten und nicht statt ihm, wenn sie das vom Arzt oder vom Patienten Gesagte wiedergeben – diese Variante führte bei beiden Seiten zu mehr Zufriedenheit.

„Interessant war auch, dass mit einem Laiendolmetscher die Gesprächszeit massiv zulasten des Patienten geht“, sagt Menz. „Das Erstgespräch dauert in Summe nicht länger, aber es reden der Dolmetsch und auch der Arzt mehr.“ Übrigens ein Ergebnis, das sich durch alle Gespräche zog: In der Ambulanz, wo eigentlich der Patient sein Leiden beschreiben soll, spricht fast immer der Arzt länger als der Patient. (Die Ergebnisse sollen im Herbst als Buch bei V&R University Press Vienna erscheinen.)

Jedenfalls ist Menz sich sicher, dass eine gute Ausbildung in Medizinischer Kommunikation den Ärzten und den Patienten vielfach helfen kann: „Nicht nur die Inhalte sind wichtig: Auch die Gesprächsstrukturierung kann gelernt werden oder eine gute Patienten-orientierte Mitteilung von Diagnosen.“

Medizinische Kommunikation nennt sich das Fachgebiet, das erforscht, was an den Gesprächen zwischen Medizinern und Patienten verbessert werden kann.

Symptome werden von Frauen oft anders beschrieben als von Männern. Sie beziehen ihr Umfeld ein, etwa „Ich konnte nicht mehr die Stiegen raufsteigen.“

Probleme in der Verständigungnennen Forscher „Passungsschwierigkeiten“: wenn die Wortwahl der Patienten nicht dem entspricht, was der Arzt erwartet.

Sprachwissenschaftler plädieren dafür, dass Fragen wie „Was erwarten Sie sich von diesem Gespräch oder vom Arztbesuch?“ konkret in das Erstgespräch eingebaut werden.

Laiendolmetscher,
die Migranten häufig zum Arzt mitbringen (Familienmitglieder), erleichtern die Diagnose nicht immer. Problemloser läuft das Erstgespräch mit Krankenhaus-Dolmetschern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2011)

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