Doktoratskolleg Populationsgenetik: Von der Vielfalt bei Menschen und Fliegen

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Im Doktoratskolleg Populationsgenetik wollen Forscher wissen, welche Anpassungen in Population notwendig sind, um bestens in der Umgebung zurechtzukommen. Dazu braucht es Genetiker, Mathematiker und viele mehr.

Wenn Sie auf die Straße rausgehen, werden Sie feststellen, dass jeder Mensch anders aussieht“, sagt Christian Schlötterer, als ob das etwas Besonderes wäre. Für einen Populationsgenetiker ist das aber tatsächlich die Grundfrage seines Tuns: Warum sehen denn alle unterschiedlich aus? Wie variabel sind Populationen? Was ist die genetische Grundlage für diese Vielfalt?

„Ein ganz praktischer Nutzen von Populationsgenetik ist das, was viele als personalisierte Medizin bezeichnen“, erzählt Schlötterer, Institutsvorstand der Abteilung für Populationsgenomik an der Vetmed-Uni Wien: „In Zukunft wünscht man sich, dass jeder Mensch sein Genom sequenzieren und damit zum Arzt gehen kann. Und je nach genetischer Ausstattung verschreibt der Arzt die am besten passende Medizin. Aber so weit sind wir noch nicht.“

Das Team von Schlötterer und ein groß angelegtes Doktoratskolleg, bei dem der FWF heimischen und internationalen Studenten die Doktorausbildung finanziert, stellen nicht den Menschen ins Zentrum ihrer Forschung, sondern Fliegen und Pflanzen. „Warum wir das nicht am Menschen machen, ist einfach: Mein Team arbeitet an der Fruchtfliege, weil wir da ganz gezielt an den Genen manipulieren können.“ In Wien steht ja die größte Sammlung an genetisch veränderten Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster): die „Fliegen-Bibliothek“ aus dem Labor von Barry Dickson im dritten Bezirk in der Dr.-Bohr-Gasse. Hier gibt es für jedes der 14.000 Gene, die eine Fruchtfliege besitzt, eine gezüchtete Fliegensorte (Laborlinie), bei der man das Gen in jedem beliebigen Entwicklungsstadium ein- oder ausschalten kann.

„Auf diese Weise kann man Vermutungen, die aus der Theorie oder aus Experimenten entstehen, direkt testen und kontrollieren, ob sich diese oder jene Anpassung ändert, wenn man das Gen an- oder ausschaltet“, erklärt Schlötterer.

Denn für Populationsgenetiker ist nicht nur die Frage des „Wieso?“ wichtig, also die Frage: „Welche Gene sind die Basis für die Vielfalt?“. Sie wollen auch wissen, wie viel von dieser Vielfalt, die man bei Fruchtfliegen oder auch bei Menschen findet, durch Anpassung an verschiedene Umweltbedingungen entstanden ist. „Beim Menschen findet man in den Genen noch die Anpassung an Milchnahrung, seit menschliche Populationen aus Afrika ausgewandert sind. Oder man kann im Genom Hinweise darauf finden, welche Populationen in höheren Gebirgsregionen gelebt haben etc.“, so Schlötterer. Über den Umweg der Fruchtfliege wird nun eben im Labor herausgefunden, welche Anpassungen verschiedene Populationen durchlaufen, um in ihrer Umwelt am besten zurechtzukommen.

„Die Kernfrage der Anpassung an die Umweltbedingungen klingt sehr einfach. Aber die Antwort darauf ist unheimlich kompliziert“, berichtet Schlötterer. Daher arbeiten nicht nur in dem Doktoratskolleg, sondern überhaupt im Fach der Populationsgenetik zahlreiche Wissenschaftsdisziplinen zusammen: Evolutionsbiologen, Genetiker, Molekularbiologen, Bioinformatiker, Mathematiker, Statistiker, Modellierer und mehr. „Wien hat sich in den letzten Jahren zu einem international renommierten Zentrum entwickelt. In Europa ist Wien im Bereich der Populationsgenetik an oberster Stelle. Davon profitieren auch unsere Doktoranden. Die Absolventen werden uns direkt aus den Händen gerissen und bekommen beste Jobangebote“, freut sich Schlötterer. Derzeit können sich interessierte Studenten übrigens wieder bewerben, wenn sie die hochwertige Ausbildung zum Populationsgenetiker machen wollen (www.popgen-vienna.at).

„Den richtigen Kick, seitdem sich das Forschungsgebiet so stark entwickelt, haben die neuesten Sequenziermethoden gegeben“, sagt Schlötterer. Denn früher dauerte die Sequenzierung eines gesamten Genoms Wochen bis Monate. Heute schaffen Hochdurchsatz-Sequenzierer über 100 Fruchtfliegen-Genome in einer Woche. „Wir haben so einen Sequenzierer an der Vetmed, da macht man nur schnipp, und schon hat man das Genom“, schmunzelt Schlötterer.

Diese flotte Identifizierung der Gene jedes Individuums half den Forschern auch beim jüngsten spannenden Experiment: Es sollte herausgefunden werden, welche Genvarianten der Fliegen für eine hohe oder niedrige Temperaturresistenz verantwortlich sind. Dazu zog die PhD-Studentin Hoda Bazafkan auf den Kahlenberg aus – zeitgerecht zur Weinernte. „Auf den ausgepressten Weintrauben sammeln sich tausende Fruchtfliegen“, so Schlötterer: „Wir haben sie mitsamt der Weintrauben in große Plastiksäcke gepackt und hier an der Vetmed freigelassen. Die Fliegen wurden dann vorsichtig eingesaugt und für die Experimente verwendet.“ Circa 30.000 Fliegen transportierte das Team so vom Kahlenberg nach Wien Donaustadt.

Im Experiment wurden die Insekten entweder fünf Stunden auf Eis gelegt oder hoher Hitze ausgesetzt. „Die Fruchtfliege fällt, wenn sie in extreme Temperaturen kommt, in eine Art Koma, sie bewegt sich nicht mehr. Wir haben die Tiere dann bei Raumtemperatur ausgebreitet und beobachtet, welche Fliegen als Erste wieder aufwachen.“ Das waren genau die Tiere, die am besten mit den extremen Temperaturen umgehen konnten.

Bazafkan fand heraus, dass bei der Resistenz gegenüber kälteren Temperaturen etwa 1000 Gene beteiligt sind, während die Toleranz gegenüber hohen Temperaturen an etwa 100 Genen hängt. Und nun wird ganz gezielt – durch die gezüchteten Fliegen aus der Bibliothek – untersucht, was passiert, wenn man diese Gene bzw. Gruppen von Genen ausschaltet. „Hier wurden also Tiere aus der Natur genommen, um Hypothesen aufzustellen, die man nun mit den genetisch veränderten Fliegen verifizieren oder falsifizieren kann.“

Im Labor kann auf diese Weise auch die genetische Basis von Evolution verfolgt werden: Setzt man Fliegen mit ein- oder ausgeschalteten Genen in die gleiche Umgebung, zeigt sich schnell, welche der Fliegen bei dieser Temperatur länger durchhält oder mehr Nachkommen produziert. So wird Schritt für Schritt untersucht, welche Gene für welche Anpassungen zuständig sind. Oder wie es der Mathematiker Joachim Hermisson von der Uni Wien (Vizesprecher des Doktoratskollegs) ausdrückt: „In der Populationsgenetik wird Evolution nicht nur sichtbar, sondern auch messbar.“

PhD-Studenten

Das Förderprogramm DK (Doktoratskolleg) wird vom FWF finanziert.
Durch die Ausbildung heimischer und internationaler Studenten werden wissenschaftliche Schwerpunktbildungen an österreichischen Forschungsstätten unterstützt. Derzeit laufen etwa 30 Doktoratskollegs,
2010 wurden vom FWF 16,2 Mio. Euro für neue oder verlängerte DK genehmigt. Neben den beiden Dissertationsbetreuern steht jedem PhD-Studierenden ein erfahrener Kollege als Mentor zur Verfügung.

Im DK Populationsgenetik werden derzeit 15 junge Forscher ausgebildet (u.a. aus Moskau, Serbien, Südafrika). Die Vetmed-Uni arbeitet dabei mit der Uni Wien, den Max-F.-Perutz-Laboratorien und dem Gregor-Mendel-Institut (ÖAW) zusammen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2011)

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