Physik: "Logik der Quantenmechanik verlangt es"

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Wann kommt die "Große Vereinheitliche Theorie" der Teilchen und Kräfte? Und wo bleibt das Higgs-Teilchen? Gerardus 't Hooft, ab Dienstag beim Nobelpreisträgerseminar in Wien, über das Weltbild der Physik.

Die Presse: Vom Teilchenbeschleuniger LHC in Genf erwarten sich die Physiker einiges. Vor allem die Entdeckung des Higgs-Teilchens, das anderen Teilchen ihre Masse verleihen soll. Bis jetzt wurde es nicht gefunden, manche unken bereits, dass man es nie finden werde. Was, wenn sie recht haben?

Gerardus 't Hooft: Es ist nicht ganz richtig, dass man unbedingt das Higgs-Feld braucht, um Masse zu bekommen. Masse könnte auch anders eingeführt werden. Doch das Higgs-Teilchen ist die unvermeidliche Konsequenz eines Schemas, das gut funktioniert und mit allen Beobachtungen übereinstimmt. Freilich können wir uns Modifikationen des Standardmodells vorstellen, in denen der „Higgs-Sektor“ komplizierter ist: Es könnte mehrere Higgs-Teilchen geben, etwa drei neutrale und ein geladenes. Wenn der LHC das Higgs nicht innerhalb eines Jahres findet, würden eher an solche Modelle denken.

Wird man im LHC solche Higgs-Teilchen finden, wenn sie existieren?

Ja, aber das wird länger dauern. Wenn in, sagen wir, sechs Jahren nichts gefunden wird, dann haben wir eine neue Situation. Die Wissenschaft war schon in solchen Situationen, und oft haben solche Widersprüche auf ein neues Phänomen gewiesen. Wenn das auch jetzt so ist, wird ein junger Physiker – heute unbekannt, aber morgen berühmt – es für uns finden.

Warum versteckt sich denn das Higgs-Teilchen so gut?

Ich stimme mit Einstein überein: Der Herrgott ist raffiniert, aber nicht bösartig. Das Higgs-Teilchen hat sich als schlauer Gegner erwiesen, aber wir werden es fangen.

Das Higgs wurde doch ursprünglich eingeführt, um eine vereinheitlichte Theorie von schwacher und elektromagnetischer Kraft zu ermöglichen.

Wir suchten nicht nach einer vereinheitlichten Theorie, sondern nach Antworten auf unsere Fragen: Warum wechselwirken alle diese Teilchen auf sehr ähnliche Art, während unsere Rechnungen unterschiedliche Ergebnisse bringen? Die Antwort war, dass wir die schwache und die elektromagnetische Kraft auf einen Nenner bringen mussten – nicht ganz: Wir haben immer noch zwei Kräfte, mit leicht unterschiedlichen Stärken, aber sie sind auf bemerkenswerte Art verschränkt.

Bis heute hoffen Physiker auf eine „Große Vereinheitlichte Theorie“ von drei der vier Grundkräfte: starker, schwacher und elektromagnetischer Kraft. Könnte die Physik damit leben, dass es eine solche Theorie nicht gibt?

Ich glaube schon, aber wir brauchen Antworten auf unsere Fragen! Alle bekannten Teilchen und Kräfte sind Teile desselben Universums, und sie wechselwirken alle miteinander, also müssen sie etwas gemeinsam haben. Vielleicht ist es keine Große Vereinheitlichte Theorie, wie man sie sich heute vorstellt, sondern etwas ganz anderes. Die Superstring-Theorie ist ein nettes Beispiel, aber auch sie basiert auf Annahmen, die nicht wahr sein müssen.

Superstring-Theorien sind „nicht einmal falsch“, sagte der Physiker Peter Woit. Sind sie es doch?

Solche Aussagen sind typisch für Außenseiter, die sich nicht die Mühe gemacht haben, die Details zu studieren. Diese Theorien sind ein ganz interessanter mathematischer Apparat, der alle möglichen Verbindungen mit der Welt, die wir kennen, zeigt. Es gibt einige Berechtigung, diese Formalismen zu studieren. Wenn sie nicht zu festen Vorhersagen führen, dann ist das Pech, aber kein Grund, diese Arbeit als sinnlos abzutun. Tatsache ist, dass diese Theorien etwa die Schwerkraft mit anderen grundlegenden Kräften verbinden, das ist Grund genug für viele meiner Kollegen, tief in dieses Gebiet zu tauchen. Ich selbst hatte stets Bedenken gegen die String-Theorie. Ich konnte nie verstehen, warum die Annahme, dass Teilchen Strings sind, zwingend sein soll.

Stellen Sie sich einen konservativen Kollegen vor, der sagt: Warum sind wir nicht mit dem bisher bekannten Standardmodell der Teilchenphysik zufrieden? Was würden Sie ihm antworten?

Das Standardmodell repräsentiert unser heutiges Verständnis gut, aber nur, weil wir mit beschränkter Genauigkeit messen können. Wenn wir mit unbegrenzter Präzision messen könnten, würden wir etwa Quanteneffekte in der Gravitation beobachten, zu deren Verständnis unsere Theorien heute total unfähig sind.

Warum glauben Sie denn, dass eine Quantenfeldtheorie der Gravitation existieren muss?

Wir nehmen an, dass die Natur durch Regeln beschrieben wird, die unendlich genau durch Mathematik beschrieben werden. Da wir wissen, dass Elektronen, Atome etc. in Quantenzuständen existieren, muss alles, was mit Atomen in Wechselwirkung tritt, auch in solchen Zuständen sein. Die Schwerkraft ist in Wechselwirkung mit diesen Teilchen, daher muss sie in Quanten, in Gravitonen, organisiert sein. Die Logik der Quantenmechanik verlangt das.

Andererseits haben Sie einmal gesagt, dass Sie nicht gewillt sind, die Rolle des Zufalls in der Quantenphysik zu akzeptieren. Haben Sie Ihre Meinung geändert?

Nicht im Geringsten. Ich glaube, dass eine Beschreibung möglich ist, der eine deterministische Logik zugrunde liegt.

Warum müssen die fundamentalen Gesetze der Physik eigentlich so schön und einfach sein?

Sie müssen es nicht sein , aber die Geschichte hat gezeigt, dass sie es oft sind. Sie sind aber oft auf unerwartete Weise schön und einfach. Die Gesetze sind oft anders schön, als man dachte. Denken Sie an die alten Griechen, die glaubten, es gebe nur vier Elemente.

Heute glauben die Kosmologen an eine Dunkle Energie, die zwei Drittel unseres Universums ausmachen soll. Wird diese Theorie bleiben?

Ja.

Immer mehr Physiker reden über ein Multiversum, das aus vielen oder sogar unendlich vielen Universen besteht. Glauben Sie nicht, dass das den Bereich der Wissenschaft sprengt?

Nicht ganz. Die Frage ist: Wie entwirft man ein Modell des Universums, das am besten zu dem passt, was wir über die fundamentalen Gesetze wissen? Es könnte sein, dass das „vernünftigste“ Modell eines ist, bei dem unser Universum nahtlos mit anderen Strukturen verbunden ist. Warum nicht? Allerdings sind solche Spekulationen heute völlig verfrüht. Eine andere Möglichkeit wäre, dass es eine ganze Reihe von Modellen von Universen gibt, wir aber nicht wissen, wie wir jenes identifizieren sollen, das für das Universum gilt, in dem wir leben. Tatsächlich sind wir heute nahe an dieser Situation: Das Standardmodell hat zirka 30 frei adjustierbare Naturkonstanten. Das ergibt ein 30-dimensionales Multiversum, in dem unser Universum nur einen Punkt repräsentiert. Aber das genügt uns nicht: Wir wollen sagen können, warum dieser Punkt so besonders ist, und wir wollen berechnen, wo er ist.

Okay, es gibt eine Reihe von Modellen von Universen. Aber kann man deshalb sagen, dass diese Universen wirklich existieren?

Das ist eine linguistische Frage. Ob man das „Existenz“ nennt oder nicht, macht für mich keinen Unterschied.

Vor einigen Tagen haben CERN-Physiker erklärt, dass Neutrinos, die sie gemessen haben, schneller als Licht reisen. Ist CERN mit solchen Ansagen nicht etwas zu schnell?

Ja. Die Messungen waren extrem heikel, selbst der kleinste Fehler könnte das Resultat zunichtemachen. Aber CERN hatte keine Wahl: Die Experimentatoren kamen mit dieser Behauptung daher. Das CERN-Direktorium tat das Einzige, was es tun konnte: Es verkündete das Ergebnis und die Behauptung, dass die Messung mit aller nötigen Sorgfalt gemacht war, aber offensichtlich weiter von Kollegen geprüft werden muss. Das passiert jetzt. Ich glaube, ich kann vorhersagen, dass die Daten mit konventioneller Physik erklärt werden und dass das Ergebnis sein wird, dass sich die Neutrinos übereinstimmend mit der speziellen Relativitätstheorie verhalten. Nichts, was Information trägt, bewegt sich schneller als Licht.

Einer von vier Physik-Nobelpreisträgern in Wien

Gerardus 't Hooft, geb. 1946 in den Niederlanden, bekam 1999 den Physik-Nobelpreis für Arbeiten über Quantenfeldtheorie, vor allem die elektroschwache Wechselwirkung. Nach ihm ist der Asteroid 9491 Thooft benannt (zu seinem Leidwesen ohne Apostroph).

Das 6.Nobelpreisträgerseminar (nobelvienna.at) läuft von 11. bis 13.10. Neben 't Hooft kommen Albert Fert (Nobelpreis 2007 für Arbeiten über Magnetismus), Theodor Hänsch (2005, Laserspektroskopie), George F. Smoot (2006, „Urknall-Strahlung“). 11.10.: Wiener Vorlesung im Rathaus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2011)

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