Quantencomputer: Mehr Intuition für Quanten

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Die Forschung rund um Quantencomputer macht besonders in Österreich Riesenschritte. Neben vielen technologischen Hindernissen gibt es aber noch das Problem, dass das Denken nicht in den Bahnen der Quantenmechanik verläuft.

Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine Münze werfen. Um zu wissen, ob beide Seiten tatsächlich unterschiedlich sind, müssen sie zwei Messungen durchführen. Mit einem quantenmechanischen System können Sie beide Seiten gleichzeitig messen.“ Mit diesem anschaulichen Beispiel erläutert Rainer Blatt vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der ÖAW an der Uni Innsbruck den grundlegenden Vorteil, den sich die Forscher von Quantencomputern erhoffen.

Denn Quantencomputer gehorchen nicht der klassischen Informatik, die eine strikte Abfolge von Nullen und Einsern vorsieht, sondern den Gesetzen der Quantenmechanik. Und aufgrund deren Besonderheiten kann es auch sein, dass ein Qubit – wie die Quantenvariante eines Bits heißt – nicht nur den einen oder anderen Zustand, sondern beide gleichzeitig annimmt. Physiker nennen das Superposition.

Prinzipiell ließe sich ein Quantencomputer, der diese Prinzipien befolgt, auch dazu einsetzen, um klassische binäre Berechnungen durchzuführen. Das ist aber nicht das Ziel der Forscher. „Nur um 0 und 1 umzuschalten, brauch ich keinen Quantencomputer“, sagt Blatt im Gespräch mit „DiePresse.com/Sonntag“. Auch Anwendungen wie Textverarbeitung wären eigentlich eine Verschwendung für diese Rechner, sagt der renommierte Physiker, der seit 1995 in Innsbruck tätig ist.

Wofür benötigt man also diese Technologie? Oft geistern Wörter wie Kryptografie herum. Quantencomputer könnten Verschlüsselungen, die herkömmliche Computer jahrelang beschäftigen würden, binnen weniger Augenblicke lösen. Darin sehen die Forscher aber nicht vorrangig den Einsatzbereich. „Die Hauptaufgabe ist die Simulation der physikalischen Welt“, sagt Kristan Temme. Gemeinsam mit anderen Forschern an der Universität Wien veröffentlichte er in der Wissenschaftszeitschrift „Nature“ (478, S. 360) einen neuartigen Quantenalgorithmus. Dieser bisher rein theoretische Ansatz könnte zusammen mit einem Quantencomputer neue Einblicke in die Materialphysik geben. So ließe sich damit etwa berechnen, wie sich ein Werkstoff unter externen Einflüssen verhält, etwa wann er zum Supraleiter wird, erläutert Temme. Zwar sei das auch mit klassischen Computern möglich. Eine exakte Berechnung sei aber aus heutiger Sicht viel zu aufwendig. „Im Prinzip kann man jedes System simulieren. Aber bei quantenmechanischen Systemen stößt man sehr schnell an eine exponentielle Mauer“, sagt der Theoretiker.


Hindernisse. Derzeit wird die Umsetzung der Grundlagenforschung aber stark von dem, was technisch machbar ist, zurückgehalten. „Wenn ich wüsste, wie man einen alltagstauglichen Quantencomputer baut, würde ich an die Börse gehen“, sagt Jörg Schmiedmayer von der TU Wien. Er vergleicht die aktuelle Situation mit jener, in der sich der Engländer Charles Babbage im 19.Jahrhundert befand. Der Mathematiker hatte damals bereits die theoretischen Grundlagen für einen programmierbaren Computer dargelegt. Seine Maschine hätte aber eines mechanischen Präzisionsgrades bedurft, der damals nicht erreichbar war. Erst die Halbleiterphysik und die spätere Erfindung des Transistors und des integrierten Schaltkreises hätte den Siegeszug der Computer ermöglicht, so Schmiedmayer. Genauso hält er es für möglich, dass der entscheidende Durchbruch bei Quantencomputern noch bevorsteht. Forschern von Schmiedmayers „Atomchip“-Gruppe am Atominstitut der TU Wien ist es gelungen, Diamanten als Speicher für Quantenzustände zu nutzen. Das ist von Bedeutung, da ein Speicher eine der Grundvoraussetzungen für einen Computer darstellt.

Eine dieser Grundvoraussetzungen ist auch, auf die Ergebnisse einer Berechnung zugreifen zu können. Nur da kommt erneut die Physik in die Quere. Damit ein Quantensystem funktioniert, darf es keinen äußerlichen Einflüssen ausgesetzt sein. „Während der Berechnung muss man den Quantencomputer abschirmen“, sagt Temme. „Sobald man die Information holt, kollabiert der Zustand des Systems.“

Das stellt eine der großen Herausforderungen für die Entwicklung von Quantenalgorithmen dar. Sie müssen so gestaltet werden, dass das Ergebnis erst dann abgefragt wird, wenn die Berechnung durchgeführt wurde. Gelingt es aber, all diese Schwierigkeiten zu überwinden, könnten sich wahre Quantensprünge in der Forschung ergeben. „Ich wäre nicht überrascht, wenn man in den nächsten zehn Jahren grundlegende Probleme, die man sonst nicht verstehen könnte, mit Quantencomputern lösen kann“, sagt Schmiedmayer.


Falsche Hoffnung. Während die Forscher noch mit aufwendigen Apparaturen arbeiten, will ein US-Unternehmen bereits einen funktionierenden Quantencomputer zur Marktreife gebracht haben. Rainer Blatt sieht die Maschinen des Herstellers D-Wave Systems als problematisch an. „Das sind keine Quantencomputer“, ist er überzeugt. „Und sie verwenden auch keine Qubits.“ Das Unternehmen würde herkömmliche elektronische Schaltungen nutzen, um sich einem Zustand anzunähern, der dem eines Quantencomputers ähnelt. „Da findet auch keine Verschränkung statt“, sagt Blatt.

Diese weitere Eigenschaft der Quantenmechanik ist eine Spezialität der Forschung in Innsbruck. Nicht ohne Stolz berichtet der Physiker, dass sein Institut mit 14verschränkten Qubits nach wie vor den Weltrekord hält. Sobald mehr als eines dieser Elemente im Spiel ist, kann nur noch das Ganze und nicht mehr ein einzelnes Qubit betrachtet werden. Die Berechnungen laufen gewissermaßen in einer „Blackbox“ ab, was aber für deren Ergebnis nicht von Bedeutung ist. Blatt und sein Team erreichen das mit Ionenfallen und Lasern. Nächstes Jahr wollen sie ihren eigenen Rekord noch einmal verbessern. Derzeit liegt der Fokus aber auf der Fehlerkorrektur. Sie ist für Computersysteme unabdingbar.


Neues Denken. Stolz auf die Ergebnisse österreichischer Quantencomputerforschung ist auch Schmiedmayer. Man habe rechtzeitig „die besten Leute geholt“, sagt er. „Österreich ist in diesem Bereich Nummer eins, noch vor der Schweiz oder den USA.“ Er betont auch, dass diese Entwicklung nicht „durch Druck von oben“ entstanden sei. Wichtiger sei es gewesen, „ein gutes Umfeld für sehr gute Leute“ zu schaffen. Dadurch habe der Forschungsstandort Österreich seine Vorrangstellung bei Quantencomputern erringen können.

Es werden wohl noch Jahre vergehen, bis sich Chips und Rechner, die nach den Prinzipien der Quantenmechanik funktionieren, in Alltagsgegenständen wiederfinden werden. Bis dahin müssen noch einige Probleme gelöst werden. Für Blatt gibt es aber „keine echte technologische Mauer“. Ein Hindernis sei vielmehr das Denken der handelnden Personen. „Wir sind noch zu sehr im klassischen Schalten verhaftet“, sagt er. Die jüngere Generation an Wissenschaftlern würde aber bereits „in Superpositionen und Verschränkungen denken“.

Ähnlich sieht das auch Temme: „Die Intuition für Quantensysteme ist nicht so ausgeprägt wie für klassische Systeme.“ Insbesondere, weil der Übergang zwischen den beiden oft fließend sei. Er ist aber zuversichtlich und hofft darauf, dass sich bald neue Tore öffnen werden.

Lexikon

Quantenmechanik:Diese physikalische Theorie beschreibt Vorgänge in den winzigsten Bausteinen der Welt.

Superposition:
In der Quantenmechanik können sich zwei oder mehr Zustände überlagern. Bei Quantencomputern können etwa 0 und 1 gleichzeitig existieren.

Verschränkung:
Ein Quantensystem erlaubt nur den Blick auf das Ganze, aber nicht auf seine Einzelteile.

Qubits:
die einfachste Recheneinheit eines Quantencomputers. Mehrere Qubits können zu einem Register zusammengeschlossen werden.

Ionenfalle:
Geladene Atome oder Moleküle werden durch elektrische und magnetische Felder festgehalten.

D-Wave Systems:
Dieses US-Unternehmen behauptet, bereits marktreife Quantencomputer bauen zu können. Unter Wissenschaftlern
sind diese Maschinen umstritten.

Algorithmus:
Damit ein Computer weiß, was er machen soll, benötigt er Befehle. Ein Algorithmus legt fest, was ein Rechner in welcher Situation zu tun hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2011)

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