Biologie: Wie Weibchen zu Furien werden

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Symbolbild(c) AP (ROBIN LOZNAK)
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Weibliche Murmeltiere, die im Uterus zusammen mit Männchen heranreifen, werden durch deren Sexualhormon aggressiv – und erfolgreich. Die Reproduktion ist so hoch wie bei femininen, testosteronfreien Weibchen.

Aus der Ferne sehen sie so freundlich aus, die Murmeltiere, aber der Blick täuscht, es wird erbittert gekämpft, auch unter den Weibchen: In jeder Gruppe – bis zu 20 Mitglieder – monopolisiert ein Alpha-Weibchen die Reproduktion und macht alle anderen nieder, mit hoch aggressivem Verhalten. Zwar kann es nicht verhindern, dass auch andere kopulieren und trächtig werden, aber dann fällt es so aggressiv über die Konkurrenz her, dass die in extremen Stress gerät und die Föten abgehen.
„Wenn doch einmal ein anderes Weibchen Junge bekommt – das ist so selten, dass ich es in 15 Jahren Feldarbeit nur ein Mal erlebt habe –, werden sie vom Alpha-Weibchen getötet. Da geht es rüde zu“, berichtet Wildbiologe Walter Arnold, „aber man muss den ökologischen und sozialen Hintergrund sehen.“ Murmeltiere leben im Hochgebirge, ihre Jungen kommen im Juli zur Welt und haben dann zwei Monate, sich auf den siebenmonatigen Winterschlaf vorzubereiten. Ohne die Erwachsenen würden sie den nicht überleben: Die Großen nehmen sie in den Höhlen in die Mitte und wärmen sie, vor allem die Männchen tun es, die Weibchen sind zu erschöpft, sie müssen auch nach jeder Geburt ein Jahr Pause einlegen (verhindern in dieser Zeit aber auch die Reproduktion anderer). Viele Junge haben nicht Platz, deshalb kann sich nur ein Weibchen reproduzieren. Und wenn sie es tut, wirft sie im Durchschnitt drei Junge, zwei Drittel davon sind Männchen bzw. sie werden es: Bei allen Säugetieren müssen die Föten dafür etwas tun, bestimmte Gene aktivieren und das männliche Sexualhormon Testosteron produzieren (tun sie es nicht, werden sie sterile Weibchen).

Testosteron der Brüder vermännlicht

Auch bei Murmeltieren ist es so, aber weil sie oft zu dritt kommen und zwei davon Männchen werden, liegen Weibchen im Uterus oft zwischen zwei Brüdern. „Offenbar diffundiert Testosteron aus den männlichen Embryos heraus und in das weibliche hinein“, erklärt Arnold: „Das vermännlicht auch dieses.“ Vermännlicht? Es wird aggressiv, man weiß es schon lange von Labormäusen, bei denen gibt es ein paralleles Phänomen.
Aber die Mäuseweibchen bezahlen hoch: Mit Testosteron im Körper – bzw. einem dadurch umgebauten Gehirn – reproduzieren sie sich später und seltener. Und Murmeltiere? „Wie es bei frei lebenden Tieren ist, wusste bisher niemand“, berichtet Arnold, „Klaus Hackländer und ich haben es uns nun als Erste angesehen. Wir konnten auf eine Datensammlung im Nationalpark Berchtesgaden zurückgreifen, die ich vor über 15 Jahren begonnen habe, schon als Doktorand.“
Seitdem haben sich Lebensgeschichten von 67 Weibchen gesammelt: 41 davon wurden dominante Alpha-Weibchen, 30 davon mit Gewalt, sei es durch Palastrevolution im eigenen Revier, sei es durch die Eroberung eines fremden: „Die Weibchen aus mehrheitlich männlichen Würfen waren aggressiver und deshalb erfolgreicher“, schließen die Forscher (Mammal Review, 2011). Und, anders als bei den Mäusen, muss kein Preis entrichtet werden: Der reproduktive Erfolg dieser Weibchen ist so hoch wie der ihrer ganz femininen, testosteronfreien  Schwestern.

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