Chemie im Organismus: So wirkt Nahrung im Körper

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Ernährungswissenschaftler der Uni Wien erforschen die Wirkung von Rotwein oder Kaffee auf die Säuresekretion des Magens und von Salbeitee auf Entzündungen in der Mundhöhle.

Ob man in der „Brotkiste geschlafen hat, bei den lustigen Scherzerln“, wird man als humoriger Mensch oft gefragt. Dass Brotscherzerl nicht unbedingt lustig, aber doch sehr gesund sein können, erforscht die Ernährungswissenschaftlerin Veronika Somoza. Sie hat an der Fakultät für Chemie der Universität Wien die Professur für „Biofunktionalität von Lebensmitteln“ inne. Und sie hat herausgefunden, dass das Erhitzen von stärkehaltigen Lebensmitteln etwa beim Brotbacken nicht so schädlich ist: Manche warnen ja vor „Acrylamid“, das bei Erhitzen in Brot und Kartoffeln entstehen kann und potenziell krebserregend wirke.

Somoza erklärt, dass solche Aussagen nicht pauschal getroffen werden können, denn die gesundheitlichen Auswirkungen geringer Mengen von Acrylamid sind nicht bestätigt. Ihre Forschungen zeigen hingegen, dass erhitztes bzw. gebackenes Brot eine gesundheitsförderliche Substanz enthält: „Pronyl-Lysin“. Es hat eine antioxidative Wirkung, fängt also Sauerstoff-Radikale im Körper ab. Am meisten Pronyl-Lysin findet sich in der Rinde bzw. den Scherzerln, wo eben beim Backen die höchsten Temperaturen auftreten.

Es herrschen unzählige Volksweisheiten rund um Lebensmittel und ihre Wirkung im Körper; das Team um Somoza versucht nun, diese Schritt für Schritt wissenschaftlich zu überprüfen. Die Verbindungen von Grundlagenforschung (bis ins kleinste molekulare Detail) und der angewandten Forschung, die für die Industrie dienlich ist, kann Somoza seit September im neuen Christian-Doppler-Labor für Bioaktive Aromastoffe als Laborleiterin noch besser ausleben.

Nicht ungesund. „Viele Aromastoffe und andere Inhaltsstoffe entstehen erst dadurch, dass man Lebensmittel verarbeitet“, sagt Somoza: „Die Menschen denken generell, dass unbehandelte Nahrungsmittel gesünder sind als verarbeitete. Doch so einfach ist das nicht.“ Man weiß, ein Toast schmeckt erst gut, nachdem er getoastet wurde – aber die Toastscheibe ist deswegen nicht als getoastete ungesünder.

Auch beim Kaffee ist es so, dass viele Menschen denken, seine Inhaltsstoffe wären grundsätzlich ungesund. „Wir untersuchen, welche Verarbeitung verschiedene Lebensmittel erfahren müssen, um den gesundheitlichen Mehrwert zu steigern.“ Beim Kaffee wurde man bereits fündig: Gemeinsam mit der TU München fanden die Forscher die Verbindung „N-Methylpyridinium“ (NMP), das antioxidativ gegen freie Radikale wirken kann. „Je mehr NMP im Kaffee enthalten ist, umso weniger stark wird die Sekretion der Magensäure stimuliert“, sagt Somoza. Eben diese erhöhte Magensäuresekretion kann bei empfindlichen Personen zu Magenbeschwerden führen. „Dunkle Kaffeeröstungen enthalten viel NMP, in der entkoffeinierten Form sind sie besonders magenfreundlich.“

Auch die anregende Wirkung von Kaffee auf das Belohnungszentrum des Gehirns wurde erkundet: Hier spielt tatsächlich (wie vom Volksmund vermutet) Koffein die größte Rolle. Aber auch weitere Inhaltsstoffe des Kaffeegetränks (z.B. Pyrogallol) wirken auf Mechanismen des Belohnungssystems: Das sind ähnliche Vorgänge wie die Freisetzung von Dopamin nach dem Verspeisen von Schokolade.

Somoza, gebürtige Deutsche, hat an der Uni Wien promoviert und ist 2009 nach Aufenthalten in der USA und Deutschland wieder nach Wien zurückgekehrt. Sie freut sich, hier das Faszinosum Chemie und Lebensmittelchemie der Öffentlichkeit zu vermitteln: Wer denkt schon, dass z.B. Kaffeekochen ein chemischer Vorgang ist? Doch das Gluckern der Kaffeemaschine verrät, dass hier „chemische Wasserextraktion“ stattfindet.

In jedem Haushalt werden Lebensmittel tagtäglich verarbeitet (gekocht, gebraten, gerührt etc.) und Somoza möchte das Image der „verarbeiteten Lebensmittel“ verbessern. „Dabei geht es uns nicht um Lebensmittelsicherheit, die ist in Österreich generell sehr hoch“, sagt sie – aus Erfahrung im direkten Vergleich mit den USA und Deutschland. „Auch das öffentliche Interesse an Lebensmittelsicherheit und die Qualität der erschwinglichen Bioprodukte ist hier enorm.“

Derzeit forscht ihr Team an verschiedenen Weinsorten: „Die meisten denken, Weißwein sei schlechter für den Magen als Rotwein, wegen der Säure.“ Doch mit dem pH-Wert des Getränks hat die Magenverträglichkeit genauso wenig zu tun wie beim Kaffee. „Auch hier sind es bestimmte Inhaltsstoffe, die auf Rezeptoren wirken und so die Magensäureproduktion fördern“, erklärt Somoza. Zudem wird das Nationalgetränk Bier unter die Lupe, genauer gesagt, unter Gas-Chromatografen und Massenspektrometer genommen. Für handfeste Ergebnisse ist es allerdings noch zu früh.

Eine ihrer Dissertantinnen konnte jedoch aus Salbeitee ein herzeigbares Ergebnis destillieren: Der Volksmund sagt dem Tee eine hohe Heilkraft bei Mund- und Rachenentzündungen nach. „Wir konnten zeigen, dass u.a. der Aromastoff 1,8-Cineol für die entzündungshemmende Wirkung verantwortlich ist.“

Getestet werden solche „Bioaktivitäten“ in Laborschälchen an menschlichen Zellen (Zellkulturen). Dabei werden die fraglichen Substanzen den Zellen in Plasma-repräsentativen Konzentrationen verabreicht. Konzentrationen also, wie sie nach üblichen Verzehrmengen im Blut (entweder als Ausgangsverbindung oder als Stoffwechselprodukt) nachweisbar sind. „Das im Rotwein enthaltene Resveratrol, mit dem wir auch arbeiten, kursiert im Körper nicht als Glykosid, wie es in der Pflanze vorkommt, sondern wird im Stoffwechsel in Sulfate und Glucuronide umgewandelt.“


Wirkung testen. Wenn sich in der Zellkultur ein messbarer Effekt der Substanzen zeigt, folgen Studien, bei denen gesunde Probanden die Substanzen einnehmen. Danach wird gemessen, ob sich etwa die Magensäureproduktion ändert oder welche Biofunktionen sonst beeinflusst werden. Apropos Resveratrol: Diesem Molekül wird gemeinhin eine herz- und gefäßschützende Wirkung aufgrund seiner hohen antioxidativen Eigenschaften nachgesagt. „Die verstoffwechselten Formen zeigen jedoch bei weitem nicht so hohe antioxidative Wirkungen“, so Somozas.

Ein 6. Geschmack?

Zu den vier altbekannten Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig und bitter ist im Jahr 2002 offiziell „umami“ dazugekommen – der Geschmack von Eiweiß und Aminosäuren wie Glutamat.

Nun sind deutsche Forscher einem weiteren Grundgeschmack auf der Spur: fettig. Bisher dachte man, dass Fette nur durch ihre physikalischen Eigenschaften und das „Mundgefühl“ wahrgenommen werden. Nun wurden aber bei Nagern und Menschen Rezeptoren (GPR120) in den Geschmacksknospen entdeckt, die chemisch auf langkettige Fettsäuren ansprechen. Allerdings ist noch nicht klar, wie diese Rezeptoren mit Neuronen „verschaltet“ sind und ob sie im Gehirn Empfindungen auslösen.

Das, was wir „Geschmack“ eines Lebensmittels nennen, stammt zum größten Teil vom Geruchssinn: dem sogenannten „retronasalen Riechen“, bei dem die Nase während des Kauens (flüchtige) Aromastoffe wahrnimmt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2012)

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