Ötzi litt am Herzen und vertrug keine Milch

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Das Genom des Mannes aus dem Eis liegt vor und macht seine Herkunft zum Rätsel: Die DNA weist nach Korsika. Ötzi wurde wahrscheinlich im Kampf erschlagen oder stürzte dabei unglücklich.

Ötzi war ein robuster Mann mit viel Bewegung, er stieg in den Bergen herum und aß nicht fett. Und doch zeigen die Röntgenbilder seiner Adern eine extreme Verkalkung. Wie war das möglich?“, fragt Carsten Pusch, Humangenetiker an der Uni Tübingen. Er meint es rhetorisch, kennt die Antwort: „Es kam von genetischen Prädispositionen für Gefäßkrankheiten und Arteriosklerose, und von Borreliose, die alles verschlimmerte.“ Das liest der Forscher aus dem nun vorliegenden Genom des etwa 50 Jahre alten Mannes, der 1991 in den Ötztaler Alpen nach 5000 Jahren aus dem Eis kam.

2010 ging Pusch gemeinsam mit Alexander Zink vom Mumienforschungsinstitut in Bozen – im dortigen Museum ruht Ötzi seit 2006 wieder im Eis – ans Sequenzieren des Genoms. Die Forscher entnahmen Ötzis Becken ein winziges Knochenstück – 1,5 Zentimeter mal ein Millimeter, 50 Milligramm Gewicht –, sie wollten „nur einen Testlauf für ein neues Verfahren unternehmen“, berichtet Pusch: „Aber dann hatten wir fast das gesamte Genom, 96 Prozent.“ Darin zeigte sich etwa, dass Ötzis Augen mit hoher Wahrscheinlichkeit braun waren und nicht blau, wie zuvor vermutet. Das sickerte bald durch, weil das Museum in Bozen zum 20-Jahres-Jubiläum des Fundes eine Ötzi-Rekonstruktion anfertigen ließ. Zunächst hatte sie blaue Augen, dann wurde rasch umgefärbt.

Borreliose verschlimmerte Gefäßleiden

Aber der Rest des Sequenzierens verzögerte sich, bei der Jubiläumsfeier konnte das Genom nicht präsentiert werden, nun wird es nachgeholt (Nature Communications, 28.2.). Demnach hatte der Eismann Blutgruppe 0, er vertrug keine Milch – hatte nicht die Variantes des Laktase-Gens, die sie für Europäer auch im Erwachsenenalter leicht verdaubar macht –, und er hatte gleich drei Gene in Varianten, die das Risiko für Gefäßleiden und Arteriosklerose erhöhen. Zudem plagte ihn eben Borreliose. Das ist eine Infektionskrankheit, deren Erreger – Bakterien – von Zecken übertragen werden und die Böses anrichten, wo immer sie sich im Körper einrichten. Die Gene dieser Bakterien fanden sich in Ötzis Knochen, Pusch sah genau hin, er ist Spezialist, hat auch schon Krankheitserreger – für Malaria – im Genom Tutenchamuns gefunden und ist anderen bei Mitgliedern der Borgias auf der Spur. Das Problem ist immer das gleiche: Bakterien bzw. ihre Gene in fossilen Knochen sind oft Verunreinigungen, die sich erst nach dem Tod des Menschen in ihm breitmachen. Aber Ötzi hatte die Borrelia burgdorferi schon zu Lebzeiten im Leib, sie sorgte mit für seine Arteriosklerose.

Verwandtensuche: Aufwendig und teuer

Gestorben ist er an ihr nicht, er wurde im Kampf erschlagen oder stürzte dabei unglücklich, ganz exakt ist sein Ende nicht geklärt. Und nun kommen auch beim Anfang neue Ungewissheiten: „Wir haben sein Genom mit dem von 1300 heutigen Europäern verglichen“, berichtet Pusch, „und finden die meisten Ähnlichkeiten mit den Bewohnern der Inseln im Tyrrhenischen Meer, vor allem mit denen in Südkorsika und Nordsardinien.“ Wie das? Fest steht nur, dass der Eismann selbst nicht von dort stammte und in die Alpen wanderte: Man weiß aus früheren Isotopenanalysen seiner Knochen, dass er auch in den Alpen aufwuchs.

Aber seine Ahnen? Über die weiß man gar nichts. Und seine Erben? Zink vermutet, dass sie von neuen Zuwanderern aus den Alpen verdrängt wurden und sich nur auf den Inseln halten konnten, bis heute. Pusch ist vorsichtiger, er will in den Genomvergleich des einen fossilen Ötzi mit 1300 heutigen Europäern „nicht zu viel hineininterpretieren. Um die frühen Wanderbewegungen zu rekonstruieren, müsste man Ötzis Genom mit anderen Genomen aus dem Neolithikum vergleichen, man brauchte eine Bibliothek von etwa 100, 200 neolithischen Genomen.“

Aber die wäre aufwendig und teuer. Das wäre auch eine Suche nach heutigen Ötzi-Verwandten in entlegenen Tälern Tirols. Eine erste Runde mit dem mitochondrialen Genom – das ist das kleine in den Zellkraftwerken, es wurde früher schon sequenziert – hat keinerlei Erben in Tirol gefunden. Und eine neuer Anlauf, nun mit dem Kerngenom, wird wohl an den Kosten scheitern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.02.2012)

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