Kommt das Sprechen von der Fertigkeit der Hände bzw. Finger?

(c) EPA (GERT JANSSEN)
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Die Anthropologie ist experimentell geworden und erkundet Gehirnaktivitäten beim Herstellen von Steinwerkzeugen.

Warum können unsere Cousins, die Schimpansen und Bonobos, nicht reden? Am Kehlkopf liegt es nicht, der senkt sich bei jungen Schimpansen so ab wie bei Kindern (Pnas, 100, S.6930); an Intelligenz oder Lust liegt es auch nicht, Schimpansen sind klug, und mit manchen kann man sich gar verständigen, vor allem einer hat es weit gebracht, „Kanzi“, ein Bonobo am Language Research Center (Georgia State University), er kommuniziert ausgiebig mit Forschern: Sie reden in Wörtern, er deutet auf Zeichen.

Denn reden kann er wirklich nicht, das kann keiner von ihnen. Das liegt vermutlich daran, dass sie ihre Hände nicht fein genug steuern können. Dort vermutete schon Darwin einen Konnex zwischen der Produktion von Steinwerkzeugen und dem Sprechen: „Aus einem Feuerstein auch nur das einfachste Werkzeug zu schlagen, braucht eine perfekte Hand“, und „die Struktur der Hand mag in dieser Hinsicht mit der des Vokalorgans verglichen werden“, heißt es im „Descent of man“. Friedrich Engels sah es auch so und ergänzte im „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ mit einem Detail: „Beim Herstellen von Werkzeugen hatten sie einander etwas zu sagen.“

Das war vor etwa 2,6 Millionen Jahren, so alt sind die frühesten Steinwerkzeuge, ihre Technik hielt sich 1,9 Millionen Jahre unverändert: Oldowan. Dabei wird mit einem „Hammer“ in der bevorzugten Hand auf einen „Kern“ in der anderen so eingeschlagen, dass scharfe Kanten entstehen. (Schon damals war die bevorzugte Hand die rechte, man sieht es den Steinwerkzeugen an). Dann, vor 700.000 Jahren, kam eine große Innovation, die Technik des späten Acheulean, nun wurden elaborierte Faustkeile aus Stein geschlagen. Beides könnte dem Sprechen aufgeholfen haben.

Oldowan-Technik im Gehirn-Scanner

Erkunden kann man es nur auf einem Weg: Man muss die Techniken erlernen und sie in Geräten ausüben, die zeigen, wo im Gehirn was vor sich geht. Ein Meister dieser Zunft ist Bruce Bradley (Exeter), an ihm hat sich gezeigt, dass bei der primitiveren Oldowan-Technik Regionen in der linken Gehirnhälfte aktiv sind, die beim manuellen Greifen wie beim Erzeugen von Lauten aktiv sind. Das ist auch in der Technik des Acheulean so, aber dort kommen Zentren der Abstraktion und der hierarchischen Organisation – ein Schritt nach dem anderen – hinzu. Das deutet auf „plausible evolutionäre Verbindungen“ zwischen dem Herstellen von Steinwerkzeug und dem des Sprechens, schließen Dietrich Stout (Atlanta) und Thierry Chaminade (Marseille), die die Laboranthropologie mitentwickelt haben (Science, 336, S.408).

Und woran fehlt es nun endlich „Kanzi“? Kathy Schick und Nicholas Toth haben ihm die Oldowan-Technik vorgeführt und Steine gegeben. Er begriff rasch: Mit scharfen Kanten kann man verpackte Leckerbissen frei schneiden. Das tat er auch, wenn man ihm bearbeitete Steine gab. Aber selbst bearbeiten konnte er sie nicht, er konnte die Hand, die den Kern hielt, nicht fein genug steuern. Findig war er doch, er schleuderte Steine auf den Steinfußboden und hoffte auf Glückstreffer- bzw -absplitterungen. jl

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2012)

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