Frisches Plankton im trüben Gletscherwasser

Frisches Plankton trueben Gletscherwasser
Frisches Plankton trueben Gletscherwasser(c) Www.BilderBox.com
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Innsbrucker Forscher nutzen den Gletscherrückgang, um die Entwicklung von Seen im Hochgebirge zu erforschen.

„Wir wollen jetzt verstehen, was vor 10.000 Jahren passiert ist“, sagt Ruben Sommaruga, Leiter des Institutes für Ökologie der Uni Innsbruck. Er will wissen, wie sich Leben bei der Entstehung von Gletscherseen entwickelt. Die meisten Seen Europas sind am Ende der letzten größeren Eiszeit aus Gletscherschmelzwasser entstanden. „Heute haben wir durch die Klimaerwärmung eine vergleichbare Situation. Der Rückgang der Gletscher in Mitteleuropa ist stark. Österreichs größter Gletscher, die Pasterze, ging 2011 um 40 Meter zurück, in den Osttiroler Hohen Tauern verloren die Gletscher mit 3,8 Millionen Kubikmeter Eismasse 2011 gar doppelt so viel als im Schnitt der letzten Jahre. „Dadurch entstehen aus den Schmelzwasseransammlungen viele neue Seen in den Alpen“, sagt Sommaruga. „Hier untersuchen wir, wie Leben in den Seen entsteht.“

Denn ein frisch entstandener Gletschersee ist für Lebewesen gar nicht so leicht zu besiedeln: Neben der niedrigen Temperatur des Wassers macht vor allem die „Gletschermilch“ dem Plankton zu schaffen. „Gletschermilch“ ist das trübe Abflusswasser eines Gletschers, das feine Schwebstoffe aus Gesteinsmehl enthält – also vom Gletscher zerriebenes Felsenmaterial in Mikrometergröße – und für die türkis-graue Färbung dieser Seen sorgt.

Je trüber aber das Wasser ist, umso mehr Aufwand kostet es die Erstbesiedler, ihre Nahrung mühsam aus dem Wasser zu filtern: Dann ist zwischen sehr vielen Schwebstoffen nur wenig Nahrung zu finden. Andere Organismen überwinden dieses Problem, indem sie selektiv zwischen den Trübstoffen ihre Nahrung suchen und fressen. Für Mikroalgen, die Sonnenlicht zur Fotosynthese brauchen, bedeuten die Trübstoffe eine Einschränkung des Lebensraumes, da die Strahlen nicht tief in den See eindringen können. „Das verringert die gesamte Primärproduktion von Biomasse in dem Ökosystem. Sobald solche Seen aber ihre Verbindung zum Gletscher verlieren, werden sie transparenter.“ Dann verändern sich die harschen Lebensbedingungen und stellen die Lebewesen vor neue Herausforderungen. Dazu gehört z.B. das tiefere Eindringen der gefährlichen UV-Strahlung.

In einem aktuellen FWF-Projekt werden die Forscher sechs unterschiedlich von Gletschern beeinflusste Seen auf 2300 bis 2500 Meter Seehöhe bei St. Anton inspizieren: Vier davon sind in einer Wasserkette verbunden und zeigen die typische Trübung. Zwei haben die Verbindung zum Gletscherwasser schon verloren und sind sehr schnell transparent geworden.

„Es gibt bisher kaum Informationen, wie Gletscherseen ursprünglich ausgesehen haben, und wie sich Leben darin entwickelt hat“, sagt Sommaruga. Sein Team will die „mikrobielle Welt“, die in den jüngsten und damit trübsten Seen lebt, erstmals genauer untersuchen. Die Vielfalt dieser Mikroorganismen (Bakterien, Archaea, eukaryotische Einzeller) wird dabei mit modernsten DNA-Sequenzierungstechniken bestimmt.

Lexikon

Gletschermilch
heißt das trübe Abflusswasser aus dem Gletscher:
Es besteht aus zerriebenen Steinen und verleiht Gletscherseen ihre typische Trübung und die türkise Farbe.

2011war ein besonders schneearmes Jahr in den Alpen. Daher haben viele der Gletscher große Eismassen verloren.

Um 40 Meter
hat sich z.B. Österreichs größter Gletscher, die Pasterze, zurückgezogen (insgesamt neun Kilometer lang).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2012)

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