Von Abitur bis Zickenzoff

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ines Pichler sezierte die Verwendung von bundesdeutschen Ausdrücken in der österreichischen Print-Pressesprache.

So manchen Leserbriefschreibern sind sie ein Dorn im Auge: „Zicken“, die „Kohle absahnen“, bis „Bullen“ sie in „Rente“ schicken – dafür gäbe es doch auch österreichische Entsprechungen, schwappen die Emotionen hoch. Was durchaus stimmt: Seit 20 Jahren sieht die Wissenschaft Deutsch als plurizentrische Sprache – als Sprache mit mehreren Zentren. Seither gilt Österreichisch nicht mehr als eine Abweichung vom Hochdeutschen, sondern als gleichwertige Standardsprache. Die Marille ist der Aprikose gleichgestellt!

Warum Journalisten dennoch gern mit österreichfremden Wörtern jonglieren? Nicht aus Ignoranz oder Verachtung des eigenen Idioms, fand Ines Pichler (mit Stipendium der Uni Innsbruck, Betreuerin: Lorelies Ortner). Sie durchforstete die Monatsproduktion von 20 heimischen Tages- und Wochenzeitschriften (großen bis regionalen) nach 4000 Teutonismen. Und wurde in 11.400 Artikeln fündig – überraschend oft, sagt sie.

„Manchmal wird eine Bezeichnungslücke gefüllt“, berichtet die Linguistin. „So gibt es für ,durchwachsen‘ in Österreich keine Entsprechung.“ Das Wort wird bereits so oft verwendet, dass die Frage berechtigt sei, ob es sich überhaupt noch um einen Teutonismus handle. Gegenprobe: „,Semmel‘ ist in Deutschland schon so weit verbreitet, dass es bald nicht mehr als österreichisches Wort gelten könnte.“

Manchmal scheint bundesdeutsches Deutsch fundierter oder eher als Fachsprache empfunden zu werden. Oder dürfte höheres Prestige bedeuten: Wer „Salär“ verwendet, mag sich als gebildet hervorheben wollen. Doch vor allem fand Pichler viel kreativen Umgang mit Sprache: Die Fremdwörter heben ironisch hervor, transportieren Humor, Stimmungen und Meinungen, strukturieren den Text, werden auch einheimisch abgewandelt – aus „Treppe“ wird „Trepperl“. Besonders viel Teutonisches findet sich im Sport: Wo immer über dieselben Dinge berichtet werden muss, bringen Wortvarianten Schwung in den Text.

Pichler sieht die Verwendung der umstrittenen Germanismen denn auch nicht als Verlust: „Diese Wörter ersetzen nicht nur, sondern übernehmen vielfältige Funktionen in einem Text. Wir haben den Vorteil, aus mehreren Varianten diejenige wählen zu können, die dem Gesagten am ehesten gerecht wird.“ Solange das Eigene nicht fallen gelassen wird, sind „Zicken“ und „Zoff“ also nicht negativ zu werten. Sondern als Bereicherung für unsere Sprache.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2013)

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