Welchen Wert hat Natur?

Alice Vadrot analysierte das Spiel der Interessen während der Gründung des neuen Welt-Biodiversitätsrats IPBES.

Selbst die Dinosaurier starben offenbar nicht so schnell aus, wie derzeit Natur in all ihren Formen für immer verschwindet. Die Entwicklung ist so dramatisch, dass auf UN-Ebene nun eine Institution geschaffen wurde, die Biodiversität ähnlich nachdrücklich auf die politische Agenda hieven soll wie der Weltklimarat den Klimawandel. Alice Vadrot begleitete und analysierte die Entstehung dieses Rats: „Wie wird bei all den unterschiedlichen wissenschaftlichen und weltanschaulichen, politischen und ökonomischen Interessen ein Konsens herbeigeführt? Wie schreiben sie sich in die neue Institution ein? Und wie werden Konflikte gelöst?“ (Uni Wien, Betreuer: Ulrich Brand). Wer z.B. soll bestimmen, welches Wissen bedeutsam und wahr ist? „Vor allem im globalen Süden gibt es sehr viel Erfahrungswissen, traditionelles, indigenes Wissen, das sehr wertvoll im Umgang mit der Natur ist, aber dort ausgeblendet wird, wo nur wissenschaftliche Kriterien im Vordergrund stehen.“

Letztlich fand die Politikwissenschaftlerin v.a. eines: die absolute Dominanz marktwirtschaftlichen Denkens. „In Krisenzeiten muss immer gerechtfertigt werden, wieso Geld für etwas – hier Naturschutz – ausgegeben wird. Die Rechtfertigung ist immer eine ökonomische Bewertung.“ Natur an sich, als Allgemeingut und Lebensgrundlage für alle? Zählt nicht. Was zählt, ist, wie viele Medikamente noch in einem Stück Urwald stecken oder wie viele Milliarden das Bienensterben kostet. Dieses Konzept nennt sich Ökosystemdienstleistung, ist sehr umstritten, weil es in vieler Hinsicht zu kurz greift, und wurde dennoch zur Basis des Biodiversitätsrats. „Dabei wollten sehr viele Wissenschaftler und Staaten genau diese monetäre Bewertung von Natur nicht. Doch während der Verhandlungen zeigte sich klar, dass sie darum nicht herumkommen“, so Vadrot: Natur werde nur noch als wertvoll anerkannt, wenn sie bare Münze bringt.

Die Arbeit, die im Frühjahr auch als Buch erscheinen wird, zeigt, wie sich Interessen- und Machtverhältnisse in eine Institution einschreiben und zementiert werden. Etwa indem Forschungsgelder künftig nach dieser Logik vergeben werden, „einer Logik der Werte, des Eigentums, der Rationalisierung und Effizienz“. Mit potenziell schlimmen Auswirkungen auf genau jene Menschen, die mit und von der Natur leben. Sie werden systematisch ihres Wissens beraubt oder im Namen eines westlich gedachten Naturschutzes von ihrem Land vertrieben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.12.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.