Die steinerne Decke

(C) FABRY
  • Drucken

Julia Müllegger untersuchte die Lernlebenswege älterer Frauen im ländlichen Raum und fand bei Bildungsfernen eine lebenslange Benachteiligung.

Spätestens seit den bahnbrechenden Arbeiten des französischen Soziologen Pierre Bourdieu wissen wir, wie subtil und doch beharrlich sich Gesellschaftsschichten voneinander abgrenzen. Bildungsferne Milieus sind da keine Ausnahme, wie Julia Müllegger am Beispiel von nicht (mehr) werktätigen Frauen auf dem Lande bestätigt fand (Uni Salzburg, Betreuer: Edgar Forster): „In ihrer Jugend hätten diese Frauen alle gern etwas gelernt“, erzählt die Erziehungswissenschaftlerin. „Aber ohne die Möglichkeit dazu verbleiben sie ein Leben lang in der sozialen Position, in die sie hineingeboren wurden.“ Die Gesellschaft mache ihnen kein Angebot, was die Unterschiede verfestigt – bis die Frauen der Bildung selbst kritisch gegenüberstehen. „Sie grenzen sich von ,den Gebildeten‘ richtiggehend ab, verlassen sich lieber auf ihren Hausverstand.“ Neues erfahren sie nur innerhalb des eigenen engen sozialen Umfelds, wo sie „überraschend viel“ voneinander lernen. Was aber fehle, sei die Reflexion, der Zugang zu anderen Perspektiven. Zumal diese Frauen, im Gegensatz zu den Gebildeteren, kaum je den Ort verlassen. „Sie wissen so viele Dinge nicht! Dabei bringt gerade das Alter zahlreiche, zum Beispiel gesundheitliche, Veränderungen mit sich.“ Wer sich hier nicht gezielt um neues Wissen bemüht, ist klar benachteiligt.

Der Befund ist umso problematischer, als seit der Einführung des Pensionssystems und durch die steigende Lebenserwartung die Menschen heute einen Gutteil ihrer zweiten Lebenshälfte „in Ruhe“ verbringen. Menschheitsgeschichtlich ist das ein neuer, gesellschaftspolitisch ein durchaus problematischer Zustand: Immerhin geht es hier um Jahrzehnte ohne echte soziale Verpflichtungen. „Das wird sich ändern, schon allein deshalb, weil sich keine Gesellschaft so viele Menschen ohne Aufgabe leisten kann“, verweist Müllegger auf Forderungen der Altersforschung nach verpflichtender Bildung für diese Lebensphase: einerseits, um länger arbeiten zu können, andererseits, um sich persönlich und gesellschaftlich neu zu finden.

Doch genau jene Schichten, die solche Angebote am nötigsten hätten, würden damit kaum erreicht: „Hier funktioniert nur eine aufsuchende Bildung, etwa indem Vortragende in den Ort, in die Vereine kommen.“ Es würde sich lohnen: Im Alter sind diese Menschen noch einmal mehr von Armut und Krankheit bedroht. Würde Bildung zu ihnen gebracht, könnte es ihnen besser gehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.