Als 19-jähriger Soldat an der Front

Ronald Posch verglich die Feldpost seines Großvaters von 1942 bis 1945 mit den Chroniken seiner Gebirgsjägerdivision: Nicht nur wegen der Zensur gab es viel Ungesagtes.

„Anfangs war ich enttäuscht: Da hielt ich 166 Briefe in der Hand, die mein Großvater, den ich nicht kannte, während des Zweiten Weltkriegs schrieb, und dann ging es ums Wetter und wie viele Ochsen am Hof sind“, erzählt Ronald Posch. Der Historiker aus Graz kam durch Zufall an die Feldpost von Johann Posch (1923 bis 1976) und erkannte ihren Wert als Zeitdokumente (1942 bis 1945). „Freilich ist das Wetter für Soldaten wichtig, die Tag und Nacht im Freien sind. Und Ochsen zu Hause sind wichtig, weil sie Geld bedeuten.“

Da die Briefe von Johann Posch an dessen Mutter adressiert waren, blieb vieles ungesagt: „Es kommen kein einziges Mal Hitler, Juden oder das Thema Frauen vor“, analysiert Ronald Posch. Das Nichtgesagte erforschte er in den Pfarr-, Schul- und Gendarmerie-Chroniken des Heimatorts Rettenegg in der Steiermark und im Militärarchiv in Freiburg. „So sah ich auf den Tag genau, was die Gebirgsjägerdivision meines Großvaters, der als 19-Jähriger an die Front in Leningrad, später nach Italien geholt wurde, erlebte, und was er an seine Mutter schrieb.“ Nach schlimmen Kämpfen war der junge Soldat kriegsmüde, schimpfte über den „Scheißkrieg“ und „Blutschwindel“, doch er schonte die Mutter mit Details über Verluste und übermächtige Gegner. Poschs Dissertation (Uni Graz, Geschichte, Betreuer: Helmut Konrad) heißt „Bauernopfer – Bauerntäter“. „Johann Posch sah sich selbst als Opfer: Er ging nicht freiwillig in den Krieg, wurde schwer verwundet, war oft krank. Doch für uns in der dritten Generation ist klar, dass er auch Täter war. Er hat an der Front gekämpft, war dabei, als Dörfer durch Brände zerstört wurden, sah bestimmt Vergewaltigungen der Soldaten und gehorchte bis ans Kriegsende.“ Das Briefeschreiben war für den jungen Mann wohl ein Entfliehen aus der grausamen Kriegswelt: „Durch das Schreiben kam er in Hochstimmung, hat sich in das Paradies Heimat hineinversetzt.“

Auf Zensur der Wehrmacht stieß Posch nur in zwei Briefen. Doch in der Zeit, als pro Tag 25 Millionen Feldbriefe versandt wurden, setzten die Machthaber auf die „innere Zensur“ der Soldaten: Die Angst vor Zensur, vor der Strafe bei Verdacht auf „Zersetzung der Wehrmacht“ lenkte den Inhalt der Briefe. „Auch mein Großvater hat nie negativ über Angriffe geschrieben. Vielmehr sieht man, dass mitten im Krieg auch schöne Momente möglich waren, in denen die Soldaten feierten oder das Leben im Ausland wie Reisende interessant fanden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.