Alte Steinstiegen auf dem Prüfstand

Der Bauingenieur Michael Höflinger fand heraus, dass freitragende Natursteinstiegen in Wiener Gründerzeithäusern belastbarer sind als erwartet.

Rund ein Drittel der Gebäude in Wien stammt aus der Gründerzeit, bautechnisch die Zeit zwischen 1848 und 1914. Die Stiegen der Wohn-, Prunk- und Zweckbauten bestehen aus Naturstein, fast immer Kalk- oder Quarzsand (Kaiserstein und Rekawinkler). Michael Höflinger entwickelte bzw. überprüfte am Hochbau-Institut der TU Wien Methoden, die Tragfähigkeit von Stiegen zu testen, vor allem von freitragenden, in der Mitte nicht eingespannten (Begutachter Andreas Kolbitsch).

„Die Stiegen sind der neuralgische Punkt eines Hauses“, erklärt der Bauingenieur. „Im Fall einer Flucht müssen sie starken Belastungen standhalten.“ Doch für Naturstein fehlen genormte Prüfverfahren. „Was es gibt, stammt vom Stiegenstufenausschuss 1896.“

„Bruchenergie ist die Energie, die es braucht, um einen Riss zu erzeugen und komplett durch den Stein zu treiben“, erklärt er einen Aspekt seiner Materialversuche, die ersten dieser Art. Er fand heraus, dass der Kaiserstein zwar fester, aber auch spröder ist: „Ein Riss kann wie bei Glas schlagartig durch das ganze Material gehen. Bei Quarzsandstein brauche ich dafür die zwei- bis dreifache Energie.“ Das ist neu und für die Bestandsbeurteilung relevant.


Klebungen sind erfolgreich. Getestet wurden erstmals auch verschiedene Kleber, die von Steinrestauratoren verwendet werden. „Klebungen sind sehr erfolgreich. Die Stiegen sind damit genauso fest oder sogar fester als vorher.“ Ein Abriss schadhafter Stiegen sei also nicht immer notwendig, so Höflinger.

Ein weiterer Teil der Arbeit waren Belastungstests vor Ort. „Vor größeren Umbauten muss die Festigkeit jedes Baus nach heutigen Kriterien nachgewiesen werden. Aber oft fehlen die nötigen Informationen für statische Berechnungen.“ Sollen die Stiegen nicht abgerissen oder gleich mit einem teuren Unterbau verstärkt werden, kann man nur mit Gewichten – Zementsäcken, Behältern, Hydraulikzylindern – testen, was sie aushalten.

Höflingers Versuche zeigten, „dass die Stiegen enorm leistungsstark sind. Sie halten viel mehr aus, als wir kalkuliert haben.“ Sogar relativ schlecht aussehende Stiegen hätten eine gute Tragwirkung, „wenn der Verbund der Teile intakt ist“. Im Falle flüchtender Menschen oder Erdbeben wirken natürlich zusätzliche Kräfte. „Dynamische Untersuchungen gehören also noch gemacht.“ Höflinger hofft daher auf weitere Projektfinanzierung. Privat

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2014)

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