Unvorstellbar schnelle Physik

(c) Susi Nagele
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Der Physiker Stefan Nagele berechnet, wie sich Elektronen bewegen. So kann man verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Riesige Supercomputer helfen dabei.

Da wimmelt es nur so von Nobelpreisen, wenn Stefan Nagele von seinem Fachgebiet erzählt. Der Physiker beschäftigt sich mit ultraschneller Elektronendynamik. „Es geht um die schnellsten Vorgänge, die in der Natur passieren“, sagt Nagele, Postdoc am Institut für Theoretische Physik der TU Wien. Er will vorhersagen, wie sich Elektronen im Inneren der Materie bewegen. Das untersucht er zum Beispiel am photoelektrischen Effekt. 1922 erhielt Albert Einstein den Nobelpreis für die Erklärung dieses Effekts, bei dem ein Lichtteilchen (Photon) von einem Atom absorbiert wird, woraufhin ein Elektron von dem Atom „freigelassen“ wird. „Man könnte es die Geburt eines freien Elektrons nennen“, sagt Nagele, der selbst vor einem halben Jahr Vater geworden ist. Drei Monate war er jetzt in Karenz und kehrte im Februar wieder an seinen Arbeitsplatz zurück.

Diesen kann man sich recht unspektakulär vorstellen, denn Nagele arbeitet hauptsächlich am Computer. „Mit Papier und Bleistift sind die Gleichungen, mit deren Hilfe man die Bewegung von Elektronen in Atomen und Molekülen vorhersagen kann, nicht mehr zu lösen.“ Deshalb füttert Nagele den Computer mit mathematischen Modellen und programmiert Algorithmen, um zu verstehen, was in der mikroskopischen Welt der Atome passiert.

Dort gelten die Gesetze der Quantenmechanik und die Schrödinger-Gleichung. Der Österreicher Erwin Schrödinger erhielt 1933 den Nobelpreis für Physik: Er beschrieb die Wellendynamik von Teilchen. Das Problem ist nur, dass die Lösung der Gleichung extrem komplex wird, je mehr Elektronen damit beschrieben werden. „Für ein Elektron braucht man drei Dimensionen, für zwei Elektronen sechs Dimensionen, und so steigt die Herausforderung exponentiell an. Ab einem gewissen Punkt ist die Gleichung unmöglich zu lösen“, sagt Nagele.

Deshalb laufen seine Simulationen auch nicht auf einem normalen PC, sondern auf Supercomputern. Im Science Center der TU Wien am Wiener Arsenal steht Österreichs größter Rechner: Vienna Scientific Cluster. Nur mit dessen Masse an Prozessoren schafft man es, die komplexe Gleichung zu lösen. „Wir müssen trotzdem alles vereinfachen, damit die Supercomputer die Rechnungen schaffen. Daher wenden wir die Schrödinger-Gleichung nur auf Systeme an, die wenige Elektronen haben. Zum Beispiel auf das Helium-Atom mit seinen zwei Elektronen.“

Die Simulationen decken immer nur extrem kurze Zeiträume ab: Denn die Bewegung von Elektronen in Atomen, Molekülen oder Festkörpern läuft im Vergleich zu alltäglichen Zeitskalen unvorstellbar schnell ab. Man misst sie in Attosekunden.

„Eine Attosekunde ist das Milliardstel einer Milliardstelsekunde: In einer Sekunde vergehen so viele Attosekunden, wie bisher Sekunden seit Beginn des Universums vergangen sind“, beschreibt Nagele. Ahmed Zewail, der ägyptische Erfinder der Femtosekunden-Spektroskopie, erhielt übrigens 1999 den Nobelpreis für Chemie. Denn seine Technologie machte erste „Schnappschüsse“ von Bewegungen der Atome: in einem Millionstel einer Milliardstelsekunde.

Fotos von ultraschnellen Elektronen

Attosekundenpulse wurden dann erstmals am Institut für Photonik der TU Wien erzeugt, sie sind 1000-mal kürzer als Femtosekundenblitze. Die experimentelle Attosekundenphysik macht mit ihrer Hilfe „Fotos“ von ultraschnellen Elektronen.

Durch sie kann man das Verhalten der grundlegenden Bausteine der Materie genau untersuchen und mithilfe von Nageles theoretischen Modellen auch besser verstehen: Mit dem Wissen hofft man, zum Beispiel Elektronik noch schneller zu machen oder komplexe Vorgänge in Biomolekülen korrekt zu beschreiben.

ZUR PERSON

Stefan Nagele (geboren 1982 in Salzburg) studierte Technische Physik an der TU Wien und ein Semester lang auch in Stockholm. 2013 promovierte er sub auspiciis über ultraschnelle Elektronendynamik. Er reist gern, was auch beruflich notwendig ist: Seine Kooperationspartner sind in China, Ungarn, Deutschland, Argentinien und den USA. Die TU Wien gehört in diesem Gebiet und der Attosekundenphysik zur Weltspitze.

Alle Beiträge unter: diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2015)

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