Katharina Hötzenecker: Die Musik besiegt den Gott der Zeit

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Violinistin Katharina Hötzenecker erforschte, wie zwei Komponisten die Zuhörer aus der alltäglichen Zeit heraushoben. In ihrer Freizeit studiert sie Jus.

„Wer bist du? Ich bin Kairos, der alles bezwingt.“ Der griechische Dichter Poseidippos von Pella begann um 300 v. Chr. sein Gedicht über den Gott des günstigen Zeitpunkts – genannt Kairos – mit diesen Worten. Kairos galt als der Moment, an den keine Minute, keine Stunde oder sonst eine chronologische, fortschreitende Zeit gebunden war. Der lange, alltägliche Zeitabschnitt war einem anderen Gott vorbehalten – Chronos, dem Gott des alltäglichen, unaufhaltsamen Zeitablaufes. Diesen Gott galt es zu überwinden. Die Griechen suchten stets den entscheidenden Augenblick, den Moment, bei dem sie aus der alltäglichen Zeit herausgehoben wurden.

Zwei Komponisten des 20. Jahrhunderts setzten sich genau mit diesem Aspekt der Zeit auseinander: Die Russin Sofia Asgatowna Gubaidulina und der Franzose Gérad Grisey. Die Musikwissenschaftlerin Katharina Hötzenecker verglich in ihrer Dissertation „Chronos und Kairos“ die Werke der beiden Komponisten, die auf dem ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Grisey analysierte Klangspektren und leitete daraus die Klangdauer ab, während Gubaidulina eher auf eine klangsymbolische Umsetzung von Kairos und Chronos setzte.

Durch Musik bleibt die Zeit stehen

„Doch am Ende geht es für beide darum, den Chronos aufzuheben. Sie wollen dem Hörer bewusst ermöglichen, aus dem Alltag – aus der Gefangenheit der Zeit – auszubrechen“, sagt Hötzenecker, die ihre wissenschaftlichen Leistungen heuer mit der Sub-auspiciis-Promotion, der höchsten Auszeichnung für Studienleistungen in Österreich, krönte.

Hötzenecker las sich für ihre Forschungen in die russischen Kompositionsschriften Gubaidulinas und in die französischen Notizen von Grisey ein. Dadurch konnte sie in den Kompositionsprozess der Musiker eintauchen. Erst das ermöglichte ihr, die moderne Musik, bei der die Hörer und Spieler nicht immer sofort verstehen, worum es geht, zu begreifen: „Dadurch konnte ich nachvollziehen, warum die eine Note genauso geschrieben wurde oder warum sich die Komponisten für die eine und nicht die andere Tonhöhe entschieden. Die Einsicht, die ich durch das Skizzenstudium gewonnen habe, erlaubte mir, in den Kompositionen wie in einem Buch zu lesen“, sagt Hötzenecker.

Viele Komponisten geben Rhythmus, Takt und Tempo vor und konzentrieren sich damit auf die musikalische Zeitlichkeit des Chronos: „Der Kairos geht tief in die Psychologie des Hörens hinein. Es ist der Moment, wenn man völlig in der Musik aufgeht, das Zeitgefühl verliert, die Klänge als so schön empfindet, dass die Zeit subjektiv stehen bleibt“, erklärt Hötzenecker. Gubaidulina und Grisey versuchten genau diesen Augenblick zu erzeugen. Sie beschäftigten sich jahrzehntelang damit und entwickelten dafür unterschiedliche Kompositionstechniken. Hötzenecker ist nicht nur Musiktheoretikerin. Sie studierte Violine an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien, danach folgten rege Konzerttätigkeiten im In- und Ausland. Als Geigerin spielte sie etwa die österreichische Erstaufführung von Gubaidulinas „In Tempus Praesens“. Gubaidulinas Stücke werden Hötzenecker auch in Zukunft begleiten, denn ihre gesamten Kompositionsskizzen sind der Paul Sacher Stiftung in Basel versprochen. Sobald Hötzenecker darauf Zugang hat, „bricht mein Paradies an“, sagt sie.

Doch noch ist es nicht soweit: Ihre derzeitige Freizeitbeschäftigung ist das Jusstudium an der Uni Linz. Sie lässt an den Abenden und Wochenenden die Musik links liegen und konzentriert sich bei der Rechtswissenschaft auf die Präzision des Denkens. „Das ist erstens eine Herausforderung und zweitens erdet mich dieses Studium, denn die Musik entführt einen doch immer wieder in die Wolken“, sagt Hötzenecker.

Zur Person

Katharina Hötzenecker wurde 1982 in Linz geboren. Sie maturierte 2000 an der Linz International School Auhof. Es folgte ein Konzertfachstudium der Violine an der Uni für Musik und Darstellende Kunst und 2005 das Diplomstudium der Musikwissenschaft an der Uni Wien. Ihre Dissertation schloss sie an der Uni Wien und an der Université Paris VIII ab. Seit 2007 studiert sie auch Rechtswissenschaften an der Uni Linz.

Alle Beiträge unter: diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2015)

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