In Wien fehlen Querverbindungen

 Katharina Grass
Katharina Grass (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Städtebauerin Katharina Grass verglich die Verkehrssysteme von Wien, Berlin und Madrid. In puncto Nachhaltigkeit hat Wien noch Verbesserungspotenzial.

Mobilität hat mich immer schon interessiert“, sagt Katharina Grass, die in Moskau geboren wurde und dort Städtebau und Wirtschaft studiert hat. Ihre persönliche Mobilität – der Umzug nach Österreich – war von der Liebe beeinflusst: Grass heiratete nach Vorarlberg, wo sie zehn Jahre in der Baubranche tätig war. „Doch dann bin ich auf dieses Dissertationsthema gestoßen“, erzählt Grass. Die Wiener Linien haben jemanden gesucht, der ein Instrument entwickelt, das die Nachhaltigkeit für städtischen Verkehr bewertet. Die Arbeit wurde an der TU Wien von Thomas Macoun am Institut für Verkehrswissenschaften betreut. Inzwischen wohnt Grass in der Nähe von Wien und fährt täglich mit den Öffis.

Drei Jahre investierte sie in die Forschungen rund um den städtischen Verkehr und verglich das Verkehrssystem der Großstädte Wien, Berlin und Madrid miteinander. „Für eine Nutz-Wert-Analyse habe ich zehn Kernindikatoren zur Bewertung der Nachhaltigkeit erstellt“, erklärt sie.

Hier fließen sowohl ökologische Faktoren ein, wie die Menge des CO2-Ausstoßes des Personenverkehrs, als auch ökonomische, wie der Anteil an erneuerbarer Energie im gesamten Personenverkehr und die Mobilitätsausgaben privater Haushalte. „Auch soziale Indikatoren wurden erhoben: die Haltestellendichte und der Anteil an behindertengerechten Haltestellen.“ Sie beschränkte sich nicht nur auf den innerstädtischen Personenverkehr, sondern auch auf den Pendlerverkehr.

In ihrer Dissertation verglich Grass die Daten der drei Städte aus dem Jahr 2010. „Damals lag Madrid knapp vor Wien, wenn man alle Indikatoren zusammenfasst.“ Der Anteil des öffentlichen Verkehrs am gesamten Personenverkehr lag dort bei 42 Prozent, Wien lag mit 36 Prozent in der Mitte, und Berlin war mit 26 Prozent das Schlusslicht. „Inzwischen ist dieser Anteil in Wien aber auf über 39 Prozent gestiegen.“

Was klappt in Madrid besser als in Wien? „Dort ist es oft billiger, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln als mit dem Pkw zu fahren. Obwohl es in Madrid mehr Autos pro 1000 Einwohner gibt, lassen viele ihr Auto stehen. Es gibt in der Stadt viel weniger und nur teure Parkplätze und sehr viel Stau“, erklärt Grass. Außerdem reicht das U-Bahn-Netz bis in die Vororte und wird von zahlreichen Buslinien unterstützt.

Berlin hingegen ist für Autofahrer attraktiver, da es reichlich – gratis – Parkplätze gibt und die Öffis nicht so gut wie in Wien ausgebaut sind. Die Distanz zwischen Haltestellen ist weiter, und die zeitlichen Intervalle zwischen U-Bahnen sind länger. Zudem nutzten 2010 noch einige Berliner Züge Dieselloks statt des elektrischen Antriebs, was die Nachhaltigkeit natürlich negativ beeinflusste.

Aus ihren Analysen, die auch ein kontinuierliches Monitoring über Jahre erlauben, konnte Grass Empfehlungen für Wien formulieren. „Man müsste tangentiale Verbindungen stärken: Mit dem Auto kommt man in wenigen Minuten vom zehnten in den 23.Bezirk. Doch mit den Öffentlichen muss man Umwege in Kauf nehmen“, sagt Grass.

Verkehrssystem sternförmig gewachsen

Das sternförmig gewachsene Verkehrssystem sollte durch Querverbindungen des öffentlichen Verkehrs besser vernetzt werden. „Zudem sollten dort, wo schon U-Bahn-Stationen sind, aber zu wenig Auslastung herrscht, die Flächen dichter bebaut werden, um mehr Leute hinzubringen.“ Grass schlägt auch vor, die Pendlerpauschale für Autofahrer abzuschaffen und verstärkt auf Bike-and-ride-Stationen im Umland zu setzen, um den Pendlerverkehr nachhaltiger zu machen. Wie es für Grass beruflich weitergeht, weiß sie noch nicht. Derzeit absolviert sie ein dreimonatiges Praktikum am Austrian Institute of Technology (AIT) im Department für Dynamische Verkehrssysteme.

ZUR PERSON

Katharina Grass wurde 1972 in Moskau geboren und studierte an der Staatlichen Uni für Bauingenieurwesen Städtebau und Wirtschaft. 2001 zog sie nach Vorarlberg. Ihre Dissertation,

„Verkehrsmittelübergreifende Analyse von Verkehrssystemen im internationalen Vergleich der Großstädte“, wurde von den Wiener Linien initiiert und am Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien verfasst.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2015)

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