Forschung im Gästezimmer

Die Kulturgeografin Maartje Roelofsen untersucht, was es für Räume bedeutet, wenn die Währung nicht Geld, sondern Reputation ist: in Netzwerken wie Airbnb und Couchsurfing.

Mein ganzes Leben bin ich gereist“, sagt Maartje Roelofsen, Dissertantin an der Universität Graz, die aus den Niederlanden kommt. Ihr Vater ist Ingenieur für Bewässerungssysteme, der seine Familie stets dorthin mitgenommen hat, wo die Arbeit gerufen hat. „Ich habe in Afrika gelebt, in Asien, überall“, sagt Roelofsen: „Oft dort, wo Reis angebaut und Wasser benötigt wird.“

Außerdem ist die junge Niederländerin eine Digital Native, sie gehört also zur Generation, die seit früher Jugend das Internet kennt. So blieb sie stets mit ihren Freunden über soziale Netzwerke verbunden. „Ich bin in so vielen verschiedenen Orten der Welt aufgewachsen und doch stets an einem Ort mit allen in Kontakt geblieben: im globalen Netzwerk“, sagt die Forscherin.

Und genau diese Erfahrungen – das Globale und das Vernetzte – inspirierten Roelofsen zu ihrer Dissertation, die sie derzeit am Institut für Geografie und Raumforschung der Uni Graz verfasst. Sie schreibt darin über die Bedeutung von Online-Netzwerken für Privatunterkünfte im Tourismus.

Intime Privatsphäre wird geteilt

„In den letzten Jahren boomen private Zimmervermittlungen auf Online-Plattformen wie Couchsurfing und Airbnb. Dort entwickelt sich eine Kultur des Teilens, die alternativ zur herkömmlichen Wirtschaft des Kapitalismus existiert“, so Roelofsen.

Die Währung ist nicht nur das Geld, sondern vielmehr die Reputation der Gastgeber in Bezug auf ihre Gastfreundschaft, ihre Wohnzimmer und das Stadtviertel, in denen sie leben. An der Universität Wageningen in den Niederlanden studierte Roelofsen Freizeit, Tourismus und Umwelt und nun in Österreich als Kulturgeografin will sie wissen: Wie verändert das neue System, das man auch Wirtschaft des Teilens oder Sharing Economy nennt, unser Empfinden von Orten und Räumen? „Online-Netzwerke wie Airbnb und Couchsurfing erfreuen sich nicht nur großer Beliebtheit bei den Touristen, sondern auch in der Forschung. Bisher wurde erforscht, welche sozialen, kulturellen oder wirtschaftlichen Auswirkungen diese Netzwerke haben“, so Roelofsen.

„Ich untersuche, was es vom Standpunkt der Geografie heißt: Wie ändern sich die Bedeutung und der Wert von Orten und Räumen? Wie entwickeln sich Werte aus so intimen Dingen wie Gastfreundschaft, Privatsphäre und persönlicher Erfahrung mit den Mitmenschen?“, führt Roelofsen aus.

Gemeinsam mit zwei Kartografen will sie demnächst interaktive Stadtpläne erstellen, die den nicht monetären Wert von Stadtvierteln und Plätzen sichtbar machen. „Auch Fotos und Videos, die online gepostet werden und Erfahrungen von Nutzern dokumentieren, sind wichtiger Teil des Forschungsprojekts.“ Immerhin gab es noch nie zuvor so viele technische Geräte wie Kameras, Smartphones und Tablets, mit denen man schnell „visuelle Information“ erzeugen und verbreiten kann.

Untersuchungsgebiet ihrer Forschung ist Bulgarien, mit Fokus auf die Hauptstadt Sofia. „Die jungen Menschen nehmen Airbnb und diese Netzwerke gern an, auch weil sie sie als eine Nische sehen, die nicht vom Staat reguliert wird“, so Roelofsen, die selbst bereits bei circa 15 Gastgebern in Sofia gewohnt hat. „Ich möchte nicht nur online recherchieren, sondern auch offline meine eigenen Erfahrungen für die Forschung verwenden – für eine sogenannte Auto-Ethnografie. Und ich spreche bei meinen Aufenthalten mit den Gastgebern über ihre Erfahrungen: Welche Werte sind ihnen wichtig, abseits der monetären?“

Sie suchte sogenannte Super-Hosts aus, also jene Anbieter, die von den Netzwerkbetreibern besonders als gute Gastgeber angepriesen werden – beruhend auf vielen guten Bewertungen von Nutzern. „Durch das Super-Host-Programm entwickeln die Plattformen auch in der Sharing Economy eine Konkurrenzsituation wie im kapitalistischen Wettbewerb. Das beeinflusst den Wert der Orte, die Super-Hosts anbieten.“

Wer wird dabei ausgeschlossen?

Bei ihrer nächsten Reise will Roelofsen aber auch die „Geografie der Ausgeschlossenen“ erkunden: „Wer im Netzwerk nicht beliebt ist, keine guten Bewertungen bekommt oder ganz neu ist, der wird nicht als Gastgeber in Erwägung gezogen: Das schließt viele Menschen von dieser Wirtschafts- und Tourismusform aus, was sich wiederum auf den Wert ihrer Orte und Räume auswirkt.“

Ihre Dissertation will sie 2017 fertigschreiben, doch die Erkenntnisse und persönlichen Erfahrungen veröffentlicht Roelofsen seit Beginn der Studie auf dem Blog www.sharing-spaces-caring-places.com.

ZUR PERSON

Maartje Roelofsen wurde 1981 in Kandy, Sri-Lanka, geboren und studierte an der Universität Wageningen Freizeit, Tourismus und Umwelt. 2014 begann sie ihre Dissertation über den Wert von Orten und Räumen in Online-Gastfreundschaft-Netzwerken an der Uni Graz, betreut von Ulrich Ermann am Institut für Geografie und Raumforschung. Finanziert wird ihre Feldforschung in Bulgarien vom Rudi-Roth-Stipendium der Uni Graz.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2015)

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