Einsame Suche in den Archiven

„Es gab vor meiner Doktorarbeit nur wenig biografische Forschungen zu Mira Lobe“, sagt Georg Huemer.
„Es gab vor meiner Doktorarbeit nur wenig biografische Forschungen zu Mira Lobe“, sagt Georg Huemer.(c) Valerie Voithofer
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Der Literaturwissenschaftler Georg Huemer verfasste die erste umfassende Biografie der Erfolgsautorin Mira Lobe. Inzwischen lehrt er Germanistik in der Normandie.

„Das war ein Glück, dass meine Dissertation da gerade fertig war“, sagt Georg Huemer, Literaturwissenschaftler aus Wien. Er hat am Ludwig Boltzmann Institut (LBI) für Geschichte und Theorie der Biographie eine umfassende Biografie über die Kinder- und Jugendbuchautorin Mira Lobe verfasst. Und genau nach dem Abschluss des FWF-Projekts Ende 2014 kuratierte er mit Kollegen eine Ausstellung im Wien Museum über die bekannte Autorin. „Es gab vor meiner Doktorarbeit nur wenig biografische Forschungen zu Mira Lobe“, sagt Huemer, der nun in Paris lebt und an der Universität in Rouen – eine Stunde von Paris entfernt – Germanistik lehrt.

Zu Beginn war nicht einmal klar, wo sich der literarische Nachlass von Mira Lobe befindet. „Die Tochter lebt in München, der Sohn in Wien. Bei ihnen fand ich Unterlagen, aus denen hervorging, wie ihre Texte entstanden sind“, sagt Huemer. Archivrecherchen sowie Gespräche mit Wegbegleitern aus dem beruflichen und privaten Umfeld vervollständigten die Biografie, die schließlich 2015 im Praesens Verlag Wien erschien.

Österreichische Autorin mit Akzent

„Für die Ausstellung war die Frage, ob man sich nur auf Mira Lobe konzentrieren soll oder auch auf ihr Umfeld. Der Fokus lag dann auf der erfolgreichen Zusammenarbeit mit der Vorarlberger Illustratorin Susi Weigel“, erzählt der junge Forscher. Die Bestseller und Klassiker „Das kleine Ich bin ich“ oder „Die Omama im Apfelbaum“ sind nur zwei Beispiele für das literarische Schaffen von Lobe mit den Zeichnungen von Weigel.
„Das Besondere an Mira Lobe ist, dass sie als gebürtige Deutsche, die auch mit starkem deutschen Akzent gesprochen hat, als typisch österreichische Autorin wahrgenommen wird“, sagt Huemer. In seinem Buch zeichnet er die Stationen von Lobes spannendem Leben nach: Geburt in Schlesien im Jahr 1913, als Jüdin konnte sie nicht studieren, floh 1936 ins Exil nach Palästina, wo sie ihren Mann kennenlernte.

Nach dem Krieg bekam der Schauspieler ein Engagement in Wien, die Familie Lobe, inzwischen mit zwei Kindern, zog nach Wien. Lobe hat über 100 Kinder- und Jugendbücher geschrieben, das erste 1948 auf hebräisch, es erschien 1951 auf Deutsch: „Insu-Pu, die Insel der verlorenen Kinder“.

„Seit den frühen 1960er-Jahren hat sie vermehrt mit anderen Autorinnen zusammengearbeitet und war federführend in einer Gruppe, die eine sehr progressive Richtung verfolgten“, so Huemer. Käthe Recheis und Renate Welsh zählten zu den bekanntesten ihrer Kolleginnen.

Huemer konzentrierte sich in seinen Forschungen auf literaturwissenschaftliche Fragen: Wie sind die Texte überhaupt entstanden? Mit welchen Verlegern hat Lobe zusammengearbeitet? Gab es Vernetzungen zu anderen Autoren?

„Doch die Arbeit als Literaturwissenschaftler ist einsam, das macht einen manchmal fast wahnsinnig, obwohl ich es gern mache. Man kann nicht 40 Stunden in der Woche nur lesen und denken und ständig allein in Archiven sitzen“, sagt Huemer. Daher war ihm neben seiner Doktorarbeit auch immer der Kontakt zu Menschen wichtig. Als Germanist unterrichtete er an einem Wiener Gymnasium und merkte, dass ihm die Lehre auch Spaß macht. Nach der Dissertation forschte er noch circa ein Jahr am LBI, doch schließlich zog es den 30-jährigen Wiener ins Ausland.

Er zog 2015 nach Paris und arbeitete an mehreren Schulen als Sprachassistent. „Es ist nicht leicht für einen Germanisten, eine gute Stelle im Ausland zu finden.“ Im Sommer ging Huemer für mehrere Wochen nach Vermont, USA, wo er am Middlebury College in Vermont Deutsch unterrichtete.

Gutes Arbeitsklima in der Normandie

Kurz darauf bot ihm die Universität Rouen in der Normandie eine Stelle als Universitätslektor an. Als Lebensmittelpunkt wählte Huemer trotzdem Paris. „Dafür habe ich zwei Mördertage pro Woche, wenn ich oft um 5 Uhr früh aufstehe, zum Unterrichten nach Rouen fahre und gegen 23 Uhr erst heim komme.“ Acht Lehrveranstaltungen hält Huemer im laufenden Semester am dortigen Germanistik-Institut. „In der französischen Provinz ist das Arbeitsklima sehr angenehm, weil die Hierarchieebenen nicht so stark ausgeprägt sind“, sagt er.

Seine Arbeitskollegen sind Franzosen, Schweizer, Deutsche und Österreicher, die auch ihre eigene Sprachfärbung in den Unterricht einbringen. In Frankreich möchte der Wiener nun länger bleiben. Mittlerweile ergreift ihn auch schon wieder „die Sehnsucht nach den Archiven“.

Zur Person

Georg Huemer wurde 1985 in Wien geboren und studierte Germanistik an der Uni Wien. Seine Dissertation entstand im Rahmen eines FWF-Projektes am Ludwig Boltzmann Institut (LBI) für Geschichte und Theorie der Biographie in Wien. 2014 co-kuratierte er eine Ausstellung über Mira Lobe und Susi Weigel im Wien Museum. Derzeit arbeitet Huemer als Lektor an der Université de Rouen in Nordfrankreich.

Alle Beiträge unter: diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2016)

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