Das Licht heilt alle Wunden

Die Kunststofftechnikerin Simone Radl gestaltet neuartige Materialien so, dass sie sich durch Licht selbst reparieren. Oder dass sie mit UV-Bestrahlung leicht zu recyceln sind.

Heißt es oft, die Zeit heilt alle Wunden, so könnte Simone Radl sagen: Das Licht heilt alle Wunden. Die Kunststofftechnikerin meint aber keine blutenden oder seelischen Verletzungen, sondern ein künstliches Material. Denn am Polymer Competence Center Leoben, PCCL, wurde ein Kunststoff entwickelt, der sich bei UV-Bestrahlung von selbst heilt. Das PCCL ist Österreichs größtes Kunststoffforschungszentrum und wird vom Technologie- und Wissenschaftsministerium im Rahmen des Comet-Programms gefördert. Dass Sonnenlicht chemische Verbindungen beeinflussen kann, wissen Steirer sicher seit ihrer Kindheit: Denn wie bringt man einen Fleck Kürbiskernöl am besten aus der Kleidung? Man legt ihn in die Sonne.

Radl forscht am PCCL seit ihrer Dissertation an dem Wunderstoff, der sich selbst repariert. „Es ist kein Kunststoff, den man täglich in der Hand hat, sondern eine Beschichtung wie ein Lack. Spezielle Handyhüllen und Karosseriebeschichtungen sind bereits aus dieser Art Kunststoff gemacht“, erklärt Radl. Das Team in Leoben konnte den Kunststofflack so verändern, dass er ein „Smart Polymer“ wird, also ein Kunststoff, der auf Reize von außen selbstständig reagiert. „Dieses Material kann von selbst Risse und Beschädigungen reparieren“, sagt Radl.

Nach wenigen Minuten ist es repariert

Wenn die Polymerketten durch Beschädigung gebrochen sind, brauchen sie nur UV-Licht, um die innere Struktur – in wenigen Minuten – wieder herzustellen. „Am einfachsten geht es mit Sonnenlicht. Bei uns im Labor verwenden wir UV-Lampen, um das Material zu heilen“, erklärt Radl.

Bei Beschichtungen, die ohnehin dem Sonnenlicht ausgesetzt sind, würde sich jeder Riss in kurzer Zeit wieder schließen, weil die Kunststoffketten eine „innere Kraft“ besitzen, durch die sie mit Hilfe von UV-Energie wieder zusammengeführt werden. Ist die Beschichtung jedoch ohne Sonneneinstrahlung verbaut, könnten Techniker beim Service mit UV-Lampen die Reparatur des Lacks anregen.

Was sich mit Licht verbinden lässt, kann man durch Licht auch trennen – wenn man nur die innere Struktur des Kunststoffs richtig designt. So gelang es den Kunststoffforschern, die Beschichtung als Basis von Recycling einzusetzen. „Kunststoff wird meist in Verbindung mit anderen Materialien genutzt: sei es mit Halbleitern in Mikrochips oder mit Glasfasern, Karbonfasern, Kupfer oder Aluminium in Verbundstoffen“, sagt Radl. Das Problem ist, dass man die wertvollen Verbundstoffe nicht immer rückstandsfrei voneinander trennen kann und sortenreines Recycling schwer möglich ist. „Das ist eine Verschwendung von Ressourcen, die wir einschränken wollen.“

Der nun entwickelte Kunststoff lässt sich bei UV-Bestrahlung spalten: Die Verbindung wird so schwach, dass man die Einzelmaterialien des Verbundstoffes leicht trennen kann. Freilich darf so eine Beschichtung nicht dort eingesetzt werden, wo Sonnenlicht hingelangt – sonst würde sich zum Beispiel die Autokarosserie ungewollt in seine Einzelteile zerlegen.

„Aber an Stellen, wo kein Licht hinkommt, ist dieser leicht recycelbare Kunststoff wertvoll. Man muss jedoch das Material so gestalten, dass man beim Recyceln dann gut mit Licht an die Beschichtung hinkommt“, betont Radl.

Sie hat ihre bisherige Forscherlaufbahn in Leoben absolviert: Aus Knittelfeld, ihrem Heimatort, war es nicht weit zur Montan-Uni, wo sie ab 2005 Kunststofftechnik studierte. Doch für die Pflichtpraktika ging sie stets ins Ausland: So konnte sie in Bremen drei Monate bei der Firma Airbus arbeiten und am größten Passagierflugzeug der Welt, dem A380, forschen. Und in Basel, in der Schweiz, war sie für unterschiedliche Materialprüfungen von Kunstharzen zuständig.

Frauen in technischen Berufen

Die Frage, ob man als Frau an der technisch orientierten Montan-Uni besondere Hürden hätte, verneint sie. „Schon zu Studienbeginn gab es einige Frauen, und es werden immer mehr“, sagt Radl und weist auf die speziellen Förderungen hin, die auch hier in Leoben Frauen in der Forschung stärken sollen.

In ihrer Freizeit macht Radl viel Sport: „Immer etwas, das mich fordert. Klettern bis ans eigene Limit ist meine Leidenschaft.“ Und sie geht gern joggen: „Wenn man sich in etwas verrennt hat, schafft man es, beim Laufen die Gedanken frei laufen zu lassen, bis der Punkt erreicht ist, wo man alles hinter sich lässt. Wenn ich so abschalten kann, habe ich nach einem ausgedehnten Lauf oft eine differenziertere Sicht auf die Dinge.“

ZUR PERSON

Simone Radl, geboren 1987, ist im steirischen Murtal aufgewachsen und studierte an der Montan-Uni Leoben Kunststofftechnik. Seit ihrer Dissertation forscht sie am Polymer Competence Center Leoben und ist derzeit dort als Postdoc angestellt. Simone Radl wurde im März mit dem Josef-Krainer-Förderungspreis 2016 für herausragende Leistungen in der Montanwissenschaft ausgezeichnet.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2016)

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