Hildrun Walter: Forschen unterm Hollerbusch

Nach Apfel ist Holunder der zweitgrößte Fruchtanbau in Österreich. Hildrun Walter untersuchte fünf Holunderanlagen und die Wirkung von Fungiziden.
Nach Apfel ist Holunder der zweitgrößte Fruchtanbau in Österreich. Hildrun Walter untersuchte fünf Holunderanlagen und die Wirkung von Fungiziden.(c) Lunghammer
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Die Pflanzenwissenschaftlerin Hildrun Walter analysierte Pilzerkrankungen der Holunderpflanze. Sie fand auch viele Pilze in den Proben, die vermutlich gesund für die Pflanze sind.

Pilze wachsen nicht nur sichtbar auf Pflanzen oder aus dem Boden. „Pilze wachsen auch innerhalb jedes Pflanzenorgans von der Wurzel bis zum Blatt und den Früchten“, sagt Hildrun Walter, Pflanzenwissenschaftlerin der Uni Graz. In ihrer Dissertation untersuchte sie Pilze, die in Holunder wachsen. „Man kann Strauch oder Baum sagen. Beides ist richtig, in der Landwirtschaft sagt man Baum, da Holunder mit Stamm erzogen wird“, erklärt Walter. Am Institut für Pflanzenwissenschaften der Uni Graz hat man Erfahrung mit guten, symbiontischen Pilzen und schädlichen, parasitischen. „In den vergangenen zehn Jahren traten in kommerziellen Holunderanlagen vermehrt Pilzerkrankungen auf, vor allem Doldenwelke und Anthraknose“, erzählt Walter. Daher traten die Holunderbauern der Steirischen Beerenobstgenossenschaft an die Uni heran, um mehr über diese Pilze zu erfahren.

„Holunder ist eine wichtige Wirtschaftspflanze in der Steiermark. In ganz Österreich sind 11,2 Prozent der Obstanbaufläche mit Holunder bepflanzt, damit ist dies nach dem Apfel- der zweitgrößte Fruchtanbau in Österreich“, sagt Walter. Das Hauptprodukt wird aus Hollerbeeren gewonnen und ist ein Farbextrakt für die Lebensmittelindustrie. Im Frühjahr werden die Blüten der Holunderbäume ausgedünnt, damit es im Herbst weniger, dafür kräftigere Beeren gibt. Die abgeschnittenen Blüten werden zu Säften oder Tees verarbeitet. „Auch medizinisch wirkt Holunder, als Tee zum Beispiel, gut bei Atemwegserkrankungen“, weiß Walter.

In Blüten, Blättern und Beeren

Sie erforschte Holunder auf fünf Anbauflächen in der Südost- und Südweststeiermark: Auf jeder Fläche wurde ein Teil mit Fungiziden behandelt, der andere blieb frei von pilztötenden Chemikalien. „Wir haben Blätter, Blütenrispen und Beeren als Proben genommen und darin nach Pilzen gesucht.“ Dies klappt heutzutage nicht mit dem Mikroskop, denn nach optischen Kriterien ähneln sich die winzigen Pilzzellen zu sehr. „Zuerst stellten wir Reinkulturen der jeweiligen Pilze her, in Laborschälchen auf Nährmedium. Diese konnten wir dann genetisch charakterisieren“, erklärt Walter. 39 verschiedene Gruppen von Pilzen fanden sich in den Hollerproben. Genetisch ähnelten sich viele so stark, dass man sie nicht einzelnen Arten zuordnen konnte, sondern sie in der nächsthöheren Kategorie, der Gattung, oder in ganze Familien zusammenfasste. „Aber nur drei der 39 isolierten Pilzgruppen sind als Krankheitserreger im Holunder bekannt“, sagt Walter. Die restlichen sind entweder noch unbestimmte Pathogene oder – wie sie vermutet – sehr wichtig für die Pflanze, da sie zum „Mikrobiom“, der Gesamtheit aller Mikroorganismen, gehören, das jedes Lebewesen gesund hält.

Die Proben wurden über die gesamte Wuchsperiode genommen, so zeigte sich, wann im Lauf des Jahres die meisten Pilze auftreten. „Das ist für die Holunderbauern interessant, da man oft schon behandeln muss, bevor der stärkste Befall auftritt. Wir fanden einen klaren Anstieg von der Blüte bis zur Abreife.“ Am stärksten wuchsen Pilze in den letzten Wochen vor der Ernte, die ca. Mitte August bis September erfolgt. „Generell sind diese Pilze für den Verzehr unbedenklich, solange man keine Symptome sieht, die Beeren also nicht verschimmelt aussehen“, sagt Walter. Aber um zu verhindern, dass die Ernte verschimmelt und verworfen werden muss, wenden viele Bauern Fungizide an. „Unsere Studie zeigt, dass man Fungizide aber nicht als Allheilmittel einsetzen kann: Denn sie töten auch Pilze, die gut für die Pflanze sind, und haben eine starke Auswirkung auf die Ökologie der Holunderanlage“, sagt Walter.

Besser wäre es, gezielt gegen einzelne Pilzgruppen vorzugehen, anstatt Breitbandmittel einzusetzen. Etwa nützliche Pilzarten, die schädlichen Pilzen quasi den Platz auf der Pflanze wegnehmen oder die durch selbst produzierte Fungizide Schädliches verdrängen. Walters Arbeit brachte jedenfalls viele Information in die weltweiten Datenbanken, um die Genetik und Molekularbiologie der Pilzgemeinschaft auf Holunderpflanzen besser zu verstehen.

Sie selbst baut zwar nicht Holunder, aber viele andere Gemüse- und Obstsorten an: In Thal bei Graz lebt sie mit ihrem Mann – und bald mit dem ersten Kind – in einer kleinen Landwirtschaft, die zur Selbstversorgung dient. „Durch meine Forschungen habe ich einen ganz neuen Blick auf die Pflanzen und auch auf uns Menschen bekommen: Wir sind nicht bloß ein Lebewesen, sondern sind besiedelt von so vielen anderen winzigen Lebewesen, dass man fast von einem Multiorganismus sprechen kann.“

Zur Person

Hildrun Walter wurde 1985 in Hannover geboren und zog mit ihren Eltern vor der Matura nach Graz. Hier studierte sie bis zum Bachelor an der Uni Graz, ging für das Masterstudium der Angewandten Pflanzenwissenschaften an die Boku Wien. Nach zwei Jahren an der TU München, an der sie an Maispflanzen forschte, kam sie für die Dissertation an die Uni Graz (Betreuer: Helmut Guttenberger). Nach der Babypause möchte Walter weiter in Österreich forschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2016)

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