Pure Mathematik baut Brücken

Kostadinka Lapkova
Kostadinka Lapkova(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Mathematikerin Kostadinka Lapkova beschäftigt sich mit analytischen Zahlentheorien, die bei Verschlüsselungen angewandt werden. Privat malt und schreibt sie.

Kostadinka Lapkovas Leben ist von zwei Dingen bestimmt: der Mathematik und ihrer Familie. An einem für sie normalen Tag steht sie auf, bringt ihre dreijährige Tochter in den Kindergarten und spaziert dann zur Österreichischen Nationalbibliothek. Dort setzt sie sich in den Ludwig-Wittgenstein-Forschungslesesaal, um – umringt von 9000 Bänden an Handbüchern, Referenz- und Standardwerken, vorrangig der Geisteswissenschaften – Mathematik zu betreiben. Dieser Lesebereich ist nur für Forscher zugängig, die den Nachweis einer aktuellen wissenschaftlichen Tätigkeit erbringen, und daher ideal für Lapkova: In dieser Umgebung kann sie sich auf klassische Probleme der analytischen Zahlentheorie einlassen – aber nur vier bis fünf Stunden, dann muss sie ihre Tochter vom Kindergarten abholen.

Aber die Mathematik verlässt ihren Kopf nicht. „Das Gute an unserer Wissenschaft ist, dass wir kein Equipment oder Labor brauchen. Wir können immer und überall denken, und die nötige Literatur ist großteils online“, sagt Lapkova. Den Nachmittag widmet sie zumeist ihrer Tochter, der Abend gehört wieder der Mathematik. Konkreter: den k-freien Polynomwerten und der Anzahl von Teilern der Polynomwerte. Das ist auch der Projekttitel ihres vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF geförderten Hertha-Firnberg-Stipendiums, mit dem sie in den nächsten Wochen an das Institut für Analysis und Zahlentheorie der Technischen Universität (TU) Graz weiterzieht.

K-freie Polynomwerte in Graz berechnen

In Graz kann sie mit Spezialisten wie Christian Elsholtz oder Robert Tichy auf ihrem Gebiet zusammenarbeiten. Denn Mathematik kann zwar immer und überall allein gedacht, aber nur gemeinsam mit anderen vorangebracht werden. Deshalb zieht es sie nach wissenschaftlichen Stationen in Sofia, Toronto, Budapest und Wien in die Steiermark. Das speziell für Forscherinnen konzipierte Hertha-Firnberg-Stipendium ermöglicht es ihr, Wissenschaft und Kind unter einen Hut zu bringen. Insgesamt „fühle ich mich aber nicht anders als andere Mütter, die berufstätig sind“, sagt Lapkova.

Ihr Beruf ist aber speziell: Das Projekt beschäftigt sich mit zwei Problemen der Zahlentheorie. Das erste mit der Anzahl der k-freien Werte von Polynomen in zwei Variablen, insbesondere, wenn die Variablen nur Primzahlwerte annehmen. In vielen Algorithmen der modernen Kryptografie, also bei Online-Verschlüsselungen von E-Mails oder beim Internet-Banking, werden derartige Werte benötigt. In Lapkovas Fall bleiben die Berechnungen aber Grundlagenforschung. „Bevor es zur Anwendung kommt, brauchen wir ein fundamentales Wissen über die gesamte Zahlentheorie, ein Bigger Picture“ sagt die Mathematikerin.

Beim zweiten Problem studiert sie die durchschnittliche Anzahl der Teiler von Polynomen. Bisher gibt es nur für lineare und quadratische Polynome Ergebnisse, aber noch keine für Polynome höheren Grades. Derartige Teilerprobleme lieferten kürzlich einen Beitrag zu endlichen Primzahllücken. Lapkova will nun in einem ersten Schritt explizite Schranken an der Summe der Teilerfunktionen angeben. Das macht quadratische Polynome zerlegbar. Die aus Bulgarien stammende Forscherin ist sich bewusst, dass „ich pure Mathematik betreibe, die noch zu keiner direkten Anwendung findet. Ist meine Forschung aber erfolgreich, wird sie Brücken zu größeren mathematischen Gebäuden bauen“, sagt sie. Die Kryptografie würde sich jedenfalls freuen.

Heimatverbunden und weltgewandt

Lapkova ist eine viel gereiste Forscherin, die sich, gerade als sie in Kanada Station macht, als Europäerin fühlt. Ihre Heimat Bulgarien vermisst sie aber stets. Ihren Herkunftsort Saedinenie in der Nähe der zweitgrößten bulgarischen Stadt Plovdiv besucht sie so oft wie möglich. In Plovdiv begann auch ihre mathematische Karriere. In der etwa 350.000-Einwohner-Stadt ging sie in eine auf Mathematik spezialisierte Schule. Hier lernte sie das Basiswissen, das sie später brauchte. Jeden Sommer zieht es sie zu ihrem Elternhaus in die von Landwirtschaft und Lichtindustrie geprägte Kleinstadt Saedinenie.

Nicht nur die theoretische Mathematik und ihre Familie bereichern das Leben der jungen Mutter. „Als es die Zeit noch zuließ, malte ich sehr viel. Ich bin der Kunst erlegen und würde wohl von mir behaupten, ein kreativer Typ zu sein“, sagt Lapkova. Besonders die visuelle Kunst hat es ihr angetan. Zudem liest sie gern und schreibt selbst. Kreatives und abstraktes Denken fördert Lapkova, wo sie nur kann – auch bei ihren Freizeitbeschäftigungen.

ZUR PERSON

Kostadinka Lapkova absolvierte ihr Masterstudium der Mathematik an der Universität Sofia. Sie promovierte 2007 an der Central European University und 2012 am Alfréd Rényi Institute of Mathematics der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest. 2014 kam sie mit einen „Back to Research“-Grant an die Universität Wien. Im September zieht sie mit dem Hertha-Firnberg-Stipendium im Gepäck weiter nach Graz.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2016)

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