Babysitting für Stammzellen

Die Molekularbiologin Julia Tischler will die Stammzellenforschung automatisieren und verbessern. Mit ihrer Idee träumt sie vom eigenen Start-up-Projekt.

Sie sind zwar interessant, aber so pflegebedürftig und brauchen viel Babysitting.“ – So spricht Julia Tischler, Molekularbiologin in Cambridge, über embryonale Stammzellen. Für die Stammzellenforschung muss sie jeden Tag ins Labor kommen, auch sonntags. Seit 13 Jahren forscht die gebürtige Linzerin nun im Ausland. Urlaub gönnt sie sich in der österreichischen Heimat. Vergangenen Sommer sinnierte sie am Strand des Kärntner Weissensee, wie schön es nicht wäre, wenn die Betreuung der Stammzellen automatisiert wäre. „Das würde nicht nur Zeit und Kosten sparen, sondern auch robuste und reproduzierbare Zellkulturen liefern“, sagt Tischler.

In der Stammzellenforschung ist es schwierig, einen bestimmten Typus an Zellen herzustellen, weil jede Zelle eigensinnig entscheidet, wann genau sie differenziert. „Es wäre besser, die Kontrolle in möglichst kurzen Abständen durchzuführen, alle zwei oder fünf Stunden. Ein exakt getimter Wechsel des Zellkulturmediums wäre einfacher und genauer.“

Für eine Lösung suchte sie Rat bei Sebastian Maerkl am Laboratory of Biological Network Characterization (LBNC) in Lausanne. Er beschäftigt sich mit dem Verhalten von Flüssigkeiten und Gasen auf kleinstem Raum, dem Forschungsfeld der Mikrofluidik. In Skype-Gesprächen mit Maerkl entwickelte Tischler ihre Start-up-Idee, die sie beim ersten Cambridge-Postdoc-Enterprise-Wettbewerb einreichte. Sie schaffte es bis ins Finale.

Den Gründergeist in Alpbach spüren

Die Stammzellen verfolgen Julia Tischler schon seit Beginn ihrer Forschung. Sie studierte in Wien Biologie mit einem Schwerpunkt auf Genetik. Schon die Diplomarbeit in der Abteilung für Medizinische Biochemie führt sie zur Stammzellenforschung. Für den PhD im Bereich der Systembiologie ging sie ans Wellcome Trust Sanger Institute in Cambridge, für den Postdoc ans California Institute of Technology. Dort entwickelte sie quantitative Methoden um die Entscheidungsprozesse von Stammzellen auf der Einzelzellebene zu untersuchen. Wieder zurück in Cambridge erforscht sie nun, wie Stammzellen ihre Entscheidung treffen, sich zu differenzieren und welche molekularen Mechanismen sich dabei abspielen. „Die Stammzellenforschung ist wichtig in der regenerativen Medizin. Man verwendet sie für biomedizinische Applikationen, beispielsweise um Hautzellen wiederherzustellen, die bei starken Verbrennungen zerstört wurden“, erzählt Tischler.

Diese Start-up-Idee für die robuste Stammzellendifferenzierung brachte Julia Tischler gleich zum nächsten Projekt und als Stipendiatin des Technologieministeriums zur Alpbacher Summerschool der Entrepreneure. „Das war mit Abstand der beste Kurs für zukünftige Unternehmensgründer, den ich je bisher besuchen durfte. Ich bin positiv überrascht, wie extrem gut die österreichische Start-up-Szene aufgestellt ist.“ Auch die Mentoren im Seminar begeistern sie, allen voran Hermann Hauser, ein erfolgreicher Unternehmer, der selbst in Cambridge tätig ist. „Ich hab das Gefühl, es hat sich viel entwickelt in den 13 Jahren, die ich schon nicht mehr in Österreich forsche“, meint die Molekularbiologin und fügt gleich hinzu: „Ich würde schon gern meine Erfahrungen wieder nach Österreich bringen.“ Zumindest für ein paar Tage in Alpbach wurde dieser Wunsch bereits Wirklichkeit.

In der Summerschool und beim Falling Walls Lab verrät sie von ihrem zweiten Projekt, für das sie wieder mit Prof. Maerkl arbeitet. Das Team möchte die Diagnose von Proteinmarkern in ganz kleinen Probevolumen, konkret fünf Mikroliter, ermöglichen. Zum Vergleich: Momentan braucht man für manche Anwendungen die 1000-fache Blutmenge. Das ist ganz schön viel, besonders bei der Anwendung bei Neugeborenen. Langfristig zielt das Projekt auf Gesundheitsmonitoring von Zuhause ab. „Das kann man sich vorstellen wie diese Tests für Diabetespatienten”, erklärt Tischler. “Es gibt alle möglichen Biomarker, also Indikatoren, um Krankheit, beispielsweise Krebs oder Ebola, im Frühstadium zu erkennen.“ Gefährdete Patienten könnten dann jeden Tag ihr Blut untersuchen, so lautet die Vision.

Und weil der Biologin „Forschung doppelt so viel Spaß macht, wenn sie Anwendung findet“, engagiert sie sich auch bei den Entrepreneurial Postdocs of Cambridge (EPOC), einem Club, der den Post Docs die Welt des Unternehmertums schmackhaft machen will. Ihren eigenen Start-up-Traum vom automatisierten Stammzellen-Babysitting verfolgt Tischler ebenfalls weiter. Schließlich gewinnt sie so vielleicht Zeit, um am Weissensee neue Ideen auszuhecken.

ZUR PERSON

Julia Tischler (37) wurde in Linz geboren und studierte Biologie an der Uni Wien. Sie arbeitet seit 13 Jahren im Bereich der Systembiologie und der Stammzellenforschung in Cambridge und am California Institute of Technology. Als Ausgleich geht sie in der Natur laufen. Mit ihrem aktuellen Projekt schnuppert sie in die Gründerszene hinein. Sie stellt es mit einem Stipendium des Technologieministeriums beim Europäischen Forum Alpbach vor.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2016)

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