Von Datenbrillen bis „Pokémon Go“

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FRANCE-TRANSPORT-INTERNET-METRO-PHONE(c) APA/AFP/BERTRAND GUAY (BERTRAND GUAY)
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Wie nutzt man Technologien ideal, was bewirken sie, und wann ist man analog besser dran? Das erforscht Verena Fuchsberger im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion.

Arbeiter A liest eine Information auf einem Stapel Papier. Sein Kollege B auf einem Bildschirm. Die Anweisungen sind gleich und doch gibt es feine Unterschiede, die ihren Arbeitsprozess in der Halbleiterfirma, in der sie tätig sind, beeinflussen. Verena Fuchsberger vom Center für Human-Computer-Interaction (HCI) an der Uni Salzburg begleitet A und B für ein Forschungsprojekt schon seit vielen Jahren. Sie kommt zum Schluss, dass der Stapel Papier wichtig für den Arbeitsalltag der beiden ist. Denn Digitalisierung verändert die Arbeitsschritte. Viele Dinge sind auf dem Bildschirm nicht gleich ersichtlich, zum Beispiel weiß A durch einen Vermerk auf seinem Zettel, wer etwas schon gesehen hat. Und wenn er einen hohen Papierstapel sieht, ist sofort klar, dass es sich um eine umfangreiche Dokumentation handelt.

Durch die Aufbereitung wird die Arbeitsrealität eine andere, bestätigt Fuchsberger. „Obwohl ich faktisch von der gleichen Information ausgehe, gehen durch die digitale Aufbereitung bestimmte Qualitäten verloren“, erklärt sie. Ihr Kernthema ist Materialität, egal, ob in der Fabrik, im Wohnzimmer oder im Auto. Die Digitalisierung ergreift schließlich alle Bereiche. Verstärkter Fokus liegt auf industrieller Produktion. Sie hinterfragt: Wie wird die Arbeitssituation besser und stressfreier? Wie werden die Technologien so, dass man sie gern nutzt?

Was, wenn man Technik nicht nutzt?

Nicht nur die Massenproduktion, sondern auch die individuelle Herstellung von Gütern, zum Beispiel Spielzeug oder Prothesen aus dem 3-D-Drucker, spielt in der HCI-Forschung eine Rolle. „Die technischen Möglichkeiten für eine 3-D-Druck-Handprothese beispielsweise sind schon gut entwickelt. Wir überlegen uns: Wie können Leute diese Technologien wirklich nutzen?“

Zu den Human-Computer-Interactions ist Fuchsberger durch Zufall gekommen. Im Studium wusste sie noch nicht einmal, dass es diesen Forschungsbereich gibt. Sie befasste sich in Innsbruck mit Medienpädagogik, konkret mit der Frage: Wie gehen Senioren mit Technik um? Zu diesem Thema war in Salzburg die Stelle ausgeschrieben. „Ich gehe an Technologie immer von der Menschseite heran. Mich interessiert weniger, wie Technologien im Detail funktionieren, sondern wie wir damit umgehen und wie ein Designprozess von Digitalem funktioniert.”

Durch alle Projekte zieht sich die Frage, was passiert, wenn man Technologien nicht nutzt. Die Forscher nennen das Non-Use. „Es ist spannend, wie viel Aktivität eine Vermeidung braucht. Wenn zum Beispiel Leute sagen: ,Ich mag nicht auf Facebook sein.‘ Das ist eine aktive Entscheidung“, sagt Fuchsberger. Sie haben Angst vor Datenmissbrauch, Desinteresse oder zu wenig Zeit – oder es fehlt überhaupt der Zugang zu Technologien. Aber auch bei Nichtnutzung beeinflusst uns Digitales, betont Fuchsberger. „Manche Menschen wollen keinen Facebook-Auftritt und sind dort trotzdem auf dem Foto von jemand anderem zu sehen, ohne es zu wissen und reagieren zu können.“

Die Wissenschaftlerin arbeitet theoretisch und empirisch, das heißt, sie geht ins Feld – „into the wild“, wie man in der HCI dazu sagt – und interviewt Passanten, Arbeiter und Senioren oder beobachtet einfach. „Pokémon Go“ hat sie deshalb natürlich auch ausprobiert. Sie kann den Hype durchaus nachvollziehen. „Es ist eine simple Spielmechanik, die in ganz vielen Situationen funktioniert, vor allem wenn ich allein bin. Es beschleunigt den Weg, besonders, wenn's fad ist.“ Es ist sozial und fordert den Austausch: „Wie viele Pokémon hast du schon?”

„In dem Job kriegt man viel mit. Ich schau mir das meiste an, damit ich weiß, was es gibt, wie es funktioniert und für wen es gedacht ist, aber ich nutze das Wenigste davon“, sagt sie über Datenbrillen, Smartwatches und die Hololense. Eine solche Augmented-Reality-Brille, die 3-D-Hologramme herstellt, gab es auch in der Ausstellung im Schrödinger-Saal des Europäischen Forum Alpbach zu probieren. Fuchsberger war für die Technologiegespräche in Alpbach und koordinierte einen Arbeitskreis. Im Urlaub entscheidet sich die Forscherin gegen ihr digitales Ich. „Da deaktiviere ich das Facebook-Konto und lese keine E-Mails. Das ist eine sehr bewusste Entscheidung. Ich wäre schon sehr gereizt, müsste ich ständig E-Mails checken.“

In ihrer Freizeit liest Fuchsberger gern. Selbst als überzeugter Fan von gedruckter Literatur hatte sie in Alpbach ihre Lektüre auf dem E-Reader mit: „Ich hab mich lang gewehrt, aber manchmal ist es einfach praktischer.“ Das bestätigt ihre These: Analog oder digital – das ist immer auch eine Frage der Situation.

ZUR PERSON

Verena Fuchsberger (33) wurde in Vöcklabruck geboren und studierte Erziehungswissenschaften und Psychologie an der Uni Innsbruck. Ihr Doktorat machte sie an der Angewandten Informatik in Salzburg mit einem Schwerpunkt über Materialien in Design und Nutzung von interaktiven Artefakten, also beispielsweise PCs, Smartphones oder Tablets. Jetzt ist sie Forscherin an der Uni Salzburg im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2016)

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