Bühnentote zum Lachen bringen

Die Schauspieler der Habsburgermonarchie hinterließen zahlreiche Memoiren. Katharina Wessely holt sie nochmals vor den Theatervorhang.
Die Schauspieler der Habsburgermonarchie hinterließen zahlreiche Memoiren. Katharina Wessely holt sie nochmals vor den Theatervorhang.(c) Clemens Fabry
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Katharina Wessely bittet Schauspieler der späten Habsburgermonarchie nochmals auf die Bühne. Sie untersucht deren Memoiren und taucht so in eine vergangene Theaterwelt ein.

Auf einer Bühne im noch jungen 20. Jahrhundert, irgendwo in einem der zahlreichen deutschsprachigen Theater in Böhmen, Mähren oder Galizien, liegt eine Leiche. Natürlich handelt es sich um keinen echten Toten, sondern um einen Schauspieler. Seine noch lebenden Kollegen setzen alles daran, die Leiche auf den Theaterbrettern zum Lachen zu bringen.

Das ist eine Anekdote, die in sehr vielen Memoiren von Schauspielern des späten Habsburgerreiches und der Zwischenkriegszeit zu finden ist. Diese Autobiografien dienen Katharina Wessely, Theaterwissenschaftlerin am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte in Wien der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), als Quelle für ihr vom Wissenschaftsfonds FWF finanziertes Post-Doc-Projekt „Zwischen Provinz und Metropole“. In den Memoiren von über 30 Schauspielern und Schauspielerinnen, darunter Legenden wie Paul Hörbiger, Gusti Wolf oder Adrienne Gessner, untersucht sie die Theaterlandschaft der späten Habsburgermonarchie und ihrer Nachfolgerstaaten im 19. und 20. Jahrhundert.

Ganz Madrid steht unter Wasser

Die Schauspieler haben zahlreiche Anekdoten zu berichten. Eine, die – neben der Leichen-Anekdote – immer wieder auftaucht handelt vom berühmten Satz aus Don Carlos: „Ganz Madrid in Waffen“, der dann etwa zu „Ganz Madrid steht unter Wasser“ wurde. Dieser scheinbar einfache Ausspruch war laut vieler Memoiren prädestiniert für einen Bühnenversprecher. Wessely will ihre Kulturgeschichte aber nicht anhand von Anekdoten nacherzählen: „Bei Anekdoten besteht die Gefahr, dass sie zu festgeschriebenen Topoi (Gemeinplätzen, Anm.) werden, die dazu dienen, den Schauspielern ihre Stellung im Milieu, auf den Brettern, die die Welt bedeuten, zu festigen“, sagt die Forscherin. Sie will tiefer gehen. Wessely versucht, mit den Texten den Lebensgeschichten der Schauspieler, die sie sich selbst konstruierten, auf den Grund zu gehen. Daher gleicht sie die Selbstdarstellungen mit anderen Quellen und Sekundärliteratur ab.

Am Ende will Wessely nicht nur die Lebensgeschichten der Schauspieler genau nachzeichnen können, sondern damit auch in die Theater- und Kulturlandschaft der damaligen Zeit eintauchen. Was sich im Zuge der Forschung bereits abzeichnet, ist, dass sich das kulturelle Leben nicht bloß auf die Großstädte beschränkt hat. „Nicht alles am Theater wurde in Wien erfunden und strahlte dann in die Provinzen aus“, sagt sie. Das Prinzip funktionierte in beide Richtungen.

Die Strahlkraft der Provinz

Die Provinzen führten auf kultureller Ebene ein lebendiges, vernetztes und mobiles Eigenleben. Schauspieler, Bühnenbildner, Texter und Kostümbildner waren in Bewegung. Stadt und Provinz beeinflussten sich gegenseitig. Paul Hörbiger steht hier stellvertretend für diese These. Er startete seine Karriere im Stadttheater Reichenberg (heute Liberec, Tschechien), bevor er am deutschen Theater in Prag und Berlin spielte und schließlich am Burgtheater in Wien.

Reichenberg ist eine dieser Provinzstädte, die mit ihren Künstlern und ihren Künsten bis in die Großstädte strahlten. Gerade die böhmischen und mährischen Theater, etwa Brünn oder Ostrau, besaßen gut vernetzte Bühnen. Selbst nach dem Ersten Weltkrieg sandte etwa Brünn Schauspieler kurzfristig nach Wien, um Krankheitsfälle zu kompensieren. Jede größere Provinzhauptstadt von Lemberg (heutige Ukraine) bis Laibach (Slowenien) besaß deutschsprachige Theater. Erst der Zweite Weltkrieg zerstörte diese kulturelle Landschaft nachhaltig. „Es ist aber schön zu sehen, dass der Erste Weltkrieg zumindest auf kultureller Ebene nicht jegliches Netzwerk zerstört hat“, sagt Wessely.

Wessely besucht so oft wie möglich Theatervorstellungen. Selbst zieht es sie aber nicht ins Rampenlicht. Ihr reicht die Rolle als Zuseherin. Eines ihrer nächsten Vorhaben ist, die alten Provinztheater, denen sie in ihrer Forschung begegnet, zu besuchen. Das ist für sie besonders interessant, denn auch die Architektur der Theater ist ein Kind ihrer Zeit: Viele Gebäude wurden etwa vom Wiener Architekturbüro Fellner und Helmer errichtet, die im klassischen Historismus des 19. Jahrhunderts, durchaus aber auch Jugendstilobjekte bauten.

Zum Ausgleich liest Wessely oder wird beim Stricken selbst kreativ. Das Theater ist aber zugleich ihr Arbeits- und Wohnzimmer. Wessely sagt: „Gleichzeitig zu lesen, stricken und das Theater zu besuchen, ist leider nicht möglich.“ Während einer Aufführung zu stricken, käme ihr aber nicht in den Sinn.

ZUR PERSON

Katharina Wessely wurde 1975 in Wien geboren. Sie studierte Theater-, Film-, und Medienwissenschaften an der Universität Wien. 2005 erhielt sie den Theodor-Körner-Preis für ihre Dissertation. Von 2006 bis 2009 war sie Lektorin an der Universität Brünn, danach forschte sie mit einem Marie-Curie-Stipendium sowie einem Research Fellow am IASH-Institut der Universität Bern, bevor sie nach Wien zurückkehrte.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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