Die Welt im Strandkorb

Warum wir Menschen mit unserem »Steinzeitgehirn« oft daneben liegen: eine lesenswerte (Natur-)Geschichte der Unvernunft.

Wissenschaftliche Bücher für MussestundenSeit der Antike gilt der Mensch als animal rationale, als das mit Vernunft begabte Lebewesen, und Heerscharen von Philosophen haben seither den Menschen als Vernunftwesen begriffen.“ Das ist – in den Worten des Wiener Wissenschaftstheoretikers Franz Wuketits – die eine Seite. Von der anderen Seite berichtet Bertrand Russel: „Ich habe in meinem ganzen Leben sorgfältig nach Beweisen dafür (für die Vernuft der Menschen; Anm) gesucht, hatte aber noch nicht das Glück, sie zu finden. Im Gegenteil, ich habe gesehen, wie die Welt kontinuierlich immer tiefer in den Wahnsinn stürzt.“ Das ist offenbar auch die Meinung von Wuketits, die er im Vorjahr in seinem Buch „Zivilisation in der Sackgasse“ ausgebreitet hat. Das hat ihm rüde Kommentare beschert – das „Spektrum der Wissenschaften“ etwa schrieb, er schimpfe „wie ein alter Mann am Stammtisch auf die heutige Welt“.

Vielleicht hat das Wuketits gewurmt, denn nun reichte er mit seinem neuen Buch „Animal irrationale“ den wissenschaftlichen Hintergrund nach. In Kurzfassung: Unseren „Erkenntnisapparat“ haben wir von unseren tierischen Vorfahren geerbt, unser Gehirn habe sich – trotz aller soziokulturellen Fortschritte – seit 30.000 Jahren „nicht nennenswert verändert“. Es sei angepasst an einen „Mesokosmos“, an eine relativ konstante, geordnete und langsame „Welt mittlerer Dimension“ – mit Kleingruppen und linear erlebten Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Mit unserer heutigen komplexen Welt (die wir zum Teil selbst geschaffen haben), seien wir daher überfordert. Was in der Steinzeit vielleicht richtig und „vernünftig“ war, schlage nun in Unvernunft um – Stichworte: Raubbau an der Umwelt oder Finanzkrise. In Wuketits' Augen haben wir nur zwei Möglichkeiten: „Entweder wir beginnen wirklich ,vernünftig‘ zu werden (was angesichts unserer stammesgeschichtlichen Bürden nicht einfach sein wird), oder wir entscheiden uns – ,vernünftigerweise‘ – für eine einfachere Welt.“

Diese Gedanken sind freilich nicht neu – Wuketits bedient sich bei großen Vordenkern wie Konrad Lorenz, Rupert Riedl, Paul Watzlawick oder (seinem Lehrer) Erhard Oeser. Dennoch ist das Buch wertvoll: Erstens gibt es die evolutionstheoretische Sicht auf uns Menschen in kompakter, auch für den Laien nachvollziehbarer Form wieder. Und zweitens sind all jene, die diese Sichtweise nicht teilen – Norbert Leser z.B. nennt sie „Anmaßung des Evolutionismus“ –, aufgerufen, ihre Kritik zu artikulieren. Man darf gespannt sein, ob da etwas kommt.


Franz M. Wuketits: Animal irrationale. Eine kurze (Natur-)Geschichte der Unvernunft. 137 Seiten, 12,40 Euro (Suhrkamp Edition Unseld)

martin.kugler@diepresse.com diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2013)

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