Wort der Woche

Wenn man über die Zukunft der Geisteswissenschaften redet, dann sollte man nicht vergessen, dass sich diese rasant wandeln – u.a. durch die Digitalisierung der Fächer.

Begriffe der WissenschaftÜber die Bedeutung der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften (GSK) gibt es zwei Ansichten: Die einen sagen diese Disziplinen regelmäßig tot. Diese hätten den Kontakt zur Realität verloren, seien „unnütz“ und würden daher zusehends in der Bedeutungslosigkeit versinken. Die anderen prophezeien den GSK hingegen eine rosige Zukunft: Nur mithilfe der „humanities“ könne man sich aus dem Schlamassel, in das sich die Menschheit selbst (durch die Erfolge von Naturwissenschaft und Technik) hineingeritten habe, wieder herausziehen. Und überhaupt: Die GSK seien die „Software der Gesellschaft“, heißt es immer wieder.

Über diese Ansichten kann man trefflich streiten. Eines sollte dabei aber nicht übersehen werden: Auch die GSK wandeln sich – und zwar rasch. Deutlich wird das insbesondere durch die Digitalisierung, die nicht nur die traditionellen Methoden über den Haufen wirft, sondern auch die Zugänge verändert und wissenschaftliche Fragestellungen erlaubt, die früher undenkbar waren. Die Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat nun bekannt gegeben, dass sie in dieser Entwicklung einen kräftigen Eckpfeiler einschlagen will: durch die Gründung eines „Zentrums für digitale Geisteswissenschaften“. Für die nächsten drei Jahre sind dafür rund drei Mio. Euro budgetiert – 1,6 Mio. Euro davon kommen vom Wissenschaftsministerium.

Das neue Zentrum greift vorerst auf die Infrastruktur von zwei ÖAW-Institutionen zurück, die bereits den Schritt in die Digitalwelt geschafft haben – das Institut für Corpuslinguistik und Texttechnologie sowie das Phonogramm-Archiv –, und knüpft an laufende EU-Projekte wie Clarin oder Dariah an. Es soll für alle interessierten Forschergruppen in Österreich offenstehen – für andere ÖAW-Institute, Universitäten, Museen, Bibliotheken, Sammlungen oder Archive – und auch internationale Kooperationen erleichtern und bündeln. Geplant sind vorerst fünf Pilotprojekte aus unterschiedlichsten Bereichen sowie eine Ausbildungsinitiative für angehende „data scientists“ (in Österreich gibt es für dieses Fach noch kein Curriculum, in Deutschland hingegen schon länger).

Diesen Spezialisten für die wissenschaftliche Digitalisierung wird die Arbeit jedenfalls sicher nicht so bald ausgehen. In Archiven, Lagerräumen, Kellern oder Dachböden verstauben derzeit unzählige ungehobene Schätze – etwa archäologische Artefakte, Nachlässe, Münzfunde, wissenschaftliche Geräte und Modelle usw.

All das ist derzeit in vielen Fällen nicht zugänglich: nicht für die Öffentlichkeit – und auch nicht für die Forschung.

martin.kugler@diepresse.com diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2013)

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