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Es ist ganz und gar keine »normale« Flüssigkeit, das Wasser. Innsbrucker Chemiker entdeckten nun eine neue Modifikation von flüssigem Wasser bei tiefen Temperaturen.

Begriffe der WissenschaftWasser ist ein ganz besonderer Saft; es zeigt zahlreiche Anomalien, u.a. die bekannte, dass seine flüssige Form dichter ist als seine feste Form, das Eis. Wobei es nicht nur eine Modifikation von Eis gibt, sondern fast so viele wie Sorten in einem gut geführten Eissalon: 19 Modifikationen, davon sind 16 kristallin und drei amorph, also ohne kristalline, regelmäßige Struktur. Ein amorpher Festkörper ist quasi eine erstarrte Form der Flüssigkeit, Glas ist ein typisches Beispiel.

Eine Form von amorphem Eis mit besonders hoher Dichte hat das Team von Thomas Lörting (Physikalische Chemie, Uni Innsbruck) vor neun Jahren entdeckt. Nun hat es herausgefunden, dass dieses sozusagen gläserne Eis bei –157 Grad Celsius in einen flüssigen Zustand übergeht: „eine hochviskose Flüssigkeit, zäher als Honig“, wie Lörting erklärt. Für diesen „Glasübergang“ ist allerdings eine spezielle Vorbehandlung notwendig, damit das Eis sich nicht – wie bisher immer beobachtet – in eine andere feste Modifikation umwandelt.

Bisher kannte man flüssiges Wasser nur bei Temperaturen über null Grad Celsius – beziehungsweise ein bisschen darunter, wenn der Druck hoch ist. Dass es flüssiges Wasser bei –157 Grad gibt, ist eine Überraschung. Spannend wird es jetzt zu untersuchen, welche Struktur dieses zähflüssige Wasser hat. Schon das „gewöhnliche“ Wasser ist ja viel strukturierter, geordneter als die meisten anderen Flüssigkeiten. Dafür sorgen die Wasserstoffbrücken, die Moleküle miteinander verbinden, und das ist die Ursache für die Anomalien des Wassers. Die Innsbrucker Chemiker werden auch ergründen, welche physikalischen und chemischen Eigenschaften die neue Wassermodifikation hat. Etwa wie sie als Lösungsmittel taugt. „Wir wollen wissen, wie sich andere Stoffe in diesem Wasser lösen lassen“, sagt Lörting laut APA, „und wie die um ein Viertel höhere Dichte die Reaktionsfähigkeit verändert.“

Während auf der Erde normalerweise nur die uns bekannte Form von kristallinem Eis vorkommt (das hexagonale Eis Ih), ist das Eis im Weltall fast immer amorph – und könnte sich also durch den von Lörting und Kollegen entdeckten Glasübergang in das zähe flüssige Wasser umwandeln, bei Temperaturen, die für Leben, wie wir es kennen, viel zu niedrig sind. Man kann trotzdem darüber spekulieren, ob manche organische Verbindungen, die Bausteine des Lebens sind, etwa Aminosäuren, sich in diesem zähen, kalten Wasser bilden können. „Wenn Wasser bei sehr viel tieferen Temperaturen als bisher angenommen flüssig auftritt, wirft das ein neues Licht auf die Entstehung organischer Verbindungen im Weltall“, sagt Lörting.

thomas.kramar@diepresse.com diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2013)

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