Wort der Woche

Die Artenvielfalt wird immer größer, je genauer die Forscher hinschauen. Das gilt insbesondere für Mikroorganismen.

begriffe der WissenschaftBei dem Wort Biodiversität und deren Gefährdung denkt man unwillkürlich an Großtiere – etwa Tiger oder Elefanten –, vielleicht auch noch an Pflanzen, etwa seltene Orchideenarten, die durch das Schrumpfen der Urwälder bedroht sind. Dass den Großteil der Biodiversität aber Mikroorganismen ausmachen, daran denken wohl nur die wenigsten.

Aber es ist so. Ein Beispiel: Forscher der Uni Salzburg um Wilhelm Foissner haben in einem FWF-Projekt in einem Tümpel auf dem Krauthügel (südlich der Festung) 121 Arten von Wimperntierchen (Ciliaten) gefunden, davon acht, die bisher nicht beschrieben wurden (Diversity, 5, S. 374). Dieser Tümpel war übrigens akut vom Zuschütten bedroht – durch das Engagement der Biologen wurde er kürzlich als Naturdenkmal unter Schutz gestellt. Ein weiteres Beispiel, wie groß die Vielfalt bei Lebewesen ist, die wir mit freiem Auge kaum oder nicht sehen: Nach fast siebenjähriger Arbeit wurde kürzlich der Rotifera-Weltkatalog online gestellt (auch hier ist die Uni Salzburg beteiligt). In dieser Datenbank finden sich mehr als 4200 Rädertier-Arten.

Interessant an solchen Studien ist nicht nur, dass man umso mehr Arten entdeckt, je genauer man hinschaut (v.a. wenn man DNA-Methoden nutzt), sondern auch, das offenbar auch Mikroorganismen nicht gleichmäßig in geeigneten Lebensräumen verbreitet sind, sondern regional unterschiedlich. Das hat auch Limnologen um Tom Battin (Uni Wien und Wasser-Cluster Lunz) verwundert, als sie die Verbreitung von Bakterien im Einzugsbereich der Ybbs untersucht haben. Sie haben (gefördert von einem Start-Preis des FWF) jene Bakterien studiert, die in Biofilmen leben – das sind schleimige Überzüge im Flussbett – und dort erstens die Basis der Nahrungskette bilden und zweitens dafür sorgen, dass organische Schwebstoffe abgebaut werden; sie sind also die „Kläranlagen“, die unser Trinkwasser sauber halten.

Bei Fischen oder wirbellosen Tieren weiß man, dass die Artenvielfalt vom Ober- bis zum Unterlauf stetig zunimmt. Das ist plausibel, weil sich in größeren Flüssen Wasser aus vielen Gebieten mit verschiedenen Lebensbedingungen vereinigt. Bei den Bakterien war es aber genau umgekehrt: In den kleinsten Bächen war die mikrobielle Diversität am höchsten, flussabwärts wurde die Vielfalt immer kleiner (Proceedings of the Royal Society B, 2.10.). Und: In den einzelnen Bächlein unterschied sich das Artenspektrum viel stärker als erwartet.

Über die Gründe dafür können die Forscher derzeit nur mutmaßen. Der Fall zeigt aber, dass wir ökologische Zusammenhänge noch nicht voll verstehen – und dass die Erforschung der Biodiversität wohl noch viele Überraschungen bringen wird.

martin.kugler@diepresse.com diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2013)

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