Wort der Woche: Herbstdepression

Viele leiden unter Herbstdepression und würden wohl gern in Winterschlaf verfallen. Neuigkeiten über die dunklen Jahreszeiten.

Das Phänomen war schon den antiken Ärzten Hippokrates oder Aretaios bekannt: Wenn im Herbst die Tage kürzer werden, reagieren viele Menschen mit gedrückter Stimmung, Ängstlichkeit, vermehrtem Schlafbedarf oder Heißhunger auf Süßes. In Österreich sind laut einer Studie der Medizin-Uni Wien rund 200.000 Menschen betroffen.

Auf den ersten Blick scheint die Ursache klar: nämlich dass die Menschen im Herbst und Winter weniger Licht bekommen – als bestes Gegenmittel gilt denn auch eine Lichttherapie. Doch was dabei im Körper genau passiert, ist rätselhaft. Das wollen die Wiener Forscher nun in einem FWF-Projekt näher ergründen, das sie auf dem Kongress der World Psychiatric Association kommende Woche in Wien vorstellen: In Versuchen mit Positronen-Emissions-Tomografen (PET) soll insbesondere die Rolle des Enzyms Monoaminooxidase (MAO) A studiert werden. Dieses Enzym ist für das Gleichgewicht von Neurotransmittern wie Dopamin, Noradrenalin oder Serotonin zuständig; man weiß, dass bei Lichtmangel weniger MAOA ausgeschüttet wird, wodurch die Aktivität der Überträgerstoffe im Gehirn sinkt.

Die Ergebnisse könnten helfen, um den Betroffenen ihr Leben zu erleichtern – und sie vielleicht auch den dringenden Wunsch nach Winterruhe bzw. Winterschlaf vergessen zu lassen. Im Tierreich ist das weit verbreitet – in vielfältiger Ausformung: von einer Reduktion der Vitalfunktionen (etwa bei Hirschen, die ihre Körpertemperatur absenken) bis hin zu tiefem Schlaf (z.B. bei Fröschen).

Ein interessanter Fall sind Siebenschläfer: Diese verbringen bis zu acht Monate schlafend – wobei Tiefschlafphasen (mit extrem verringertem Stoffwechsel) unterbrochen werden durch kurze Aufwachphasen, in denen die Tiere zwar nicht wirklich wach werden, aber ihre Körpertemperatur ansteigt. Wie Forscher der Vet-Med-Uni Wien gemeinsam mit Kollegen der University of New England gezeigt haben, wachen Tiere mit viel Winterspeck häufiger auf (Journal Functional Ecology, 15.10.). Das hat offenbar einen biologischen „Sinn“: Verlangsamter Stoffwechsel und niedrige Körpertemperatur schwächen z.B. das Immunsystem der Tiere; die angefressenen Fettpolster schützen also vor den Belastungen im Winterschlaf. Anders formuliert: Der Winterspeck dient nicht nur dazu, den Winter zu überstehen, sondern ihn gesund zu überstehen.

Übrigens gibt es in der Natur auch einen Sommerschlaf: Um in der Hitze Energie und Wasser zu sparen, fallen z.B. tropische Schlangen oder – in gemäßigten Gefilden – Weinbergschnecken in einen mehrmonatigen Ruhezustand. Wenn man es sich aussuchen könnte, dann wäre man wohl lieber Siebenschläfer als Schnecke.

martin.kugler@diepresse.com diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2013)

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