Wort der Woche

Das sogenannte Hirndoping greift immer weiter um sich. Ein großes europäisches Projekt sucht nun nach Leitlinien im Umgang mit »Neuro-Enhancement«.

Die USA sind – wieder einmal – Vorreiter: In manchen Universitätsstädten lässt sich in der Prüfungszeit bereits die Chemikalie Methylphenidat – Handelsname: Ritalin – im Abwasser nachweisen. Dieses Medikament, das ausschließlich für die Behandlung von ADHS (Zappelphilipp-Syndrom) zugelassen ist, wird von Heerscharen von Studenten eingenommen, die die Leistungsfähigkeit ihres Gehirns steigern wollen.

Von Zuständen wie in den USA sei man in Österreich zwar noch weit entfernt, meint Helge Torgersen, Forscher am Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Allerdings: „Zahlen über den Ritalin-Gebrauch zu Enhancement-Zwecken sind nicht verfügbar“, schreibt er im jüngsten Newsletter des Ludwig Boltzmann Instituts Health Technology Assessment. Fragt man an Universitäten nach, dann zeige sich, dass bei hoher Dunkelziffer etwa fünf bis zehn Prozent der Studenten dem Prüfungsstress nicht nur mit Energy Drinks chemisch ein Schnippchen schlagen dürften. „Wie hoch die Zahl im Managementbereich ist, darüber lässt sich nur spekulieren.“ Praktischen Ärzten zufolge würden auch manche gesunde Erwachsene nach einer Ritalin-Verschreibung verlangen, so Torgersen. Ergo: „Es scheint eine reelle Nachfrage zu geben.“

Wie man mit diesem Thema umgehen soll, weiß derzeit niemand. Die italienische Bioethikkommission z.B. hat kürzlich einen Bericht herausgegeben, laut dem derzeit nicht einmal eine seriöse Risikoabschätzung möglich ist, weil die Forschungen zur Wirkung dieser Chemikalien noch in einem sehr frühen Stadium seien. Ritalin & Co. sind freilich nur die Spitze des Eisberges: Denn neben den chemischen Substanzen werden, wie berichtet, auch immer mehr elektrophysiologische Verfahren zur Hirnstimulation entwickelt.

Was not tut, sei eine „informierte Debatte“, so Torgersen. Genau das ist das Ziel des neuen EU-Projekts NERRI (Neuro-Enhancement and Responsible Research and Innovation), in dem mit einem Budget von knapp vier Mio. Euro in den nächsten drei Jahren Forscher aus elf EU-Staaten (aus Medizin, Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften) kooperieren. Aus Österreich ist neben dem ITA auch eine Gruppe um die Sozial- und Wirtschaftspsychologin Nicole Kronberger an der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz beteiligt.

Ziel des Projektes ist ein normativer Rahmen für den Einsatz von „Hirndoping“. Auf dem Weg dorthin will man neben Analysen auch einen breiten gesellschaftlichen Dialog mit allen Stakeholdern initiieren. Lasst uns also diskutieren!

martin.kugler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2013)

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