Zuckerindustrie in Österreich

Die Entwicklung der Zuckerindustrie in Österreich wurde nun erstmals umfassend aufgearbeitet. Ein spannendes Stück Agrar- und Wirtschaftsgeschichte!

Begonnen hat die österreichische Zuckerindustrie mit einem veritablen Fehlschlag. 1719 erteilte Kaiser Karl VI. der Ostindischen Handelskompanie ein 20-jähriges Privileg zur Errichtung von Zuckerraffinerien in den kaiserlichen Erblanden; verantwortlich dafür war übrigens Prinz Eugen. Allerdings fand sich niemand, der eine Zuckerfabrik errichten wollte. Erst 1750 – die Ostindische Gesellschaft und damit der Versuch, für Österreich einen lukrativen Kolonialwarenhandel aufzuziehen, war längst schon wieder Geschichte – wurde die erste Zuckerfabrik in Fiume (heute Rijeka) gebaut. In ihr wurde importierter Rohrzucker verfeinert. Aufschwung bekam die Zuckerindustrie mit der Etablierung der Zuckerrübe (einer Weiterzüchtung der Runkelrübe) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – man wollte trotz der Kontinentalsperre im Zuge der napoleonischen Kriege nicht auf Süßes verzichten. 1854 zählte man in der Monarchie 108 Zuckerfabriken; heute sind es in Österreich zwei.

Wie diese Entwicklung im Detail verlief, wird in dem kürzlich präsentierten Buch „Die österreichische Zuckerindustrie und ihre Geschichte(n) 1750–2013“ (484 Seiten, 39 Euro, Böhlau Verlag) geschildert. Aus unzähligen kleinen Beiträgen ergibt sich daraus das Panoptikum eines spannenden Wirtschaftszweiges samt seinen Verknüpfungen zu anderen Sektoren. Man erfährt z.B., dass österreichische Lebensmitteltechnologie seinerzeit Weltspitze war: Ein Dampfdruckverfahren, dem 1864 das Patent Nr. 5178/9 erteilt wurde, wird noch heute von den meisten Zuckerherstellern der Welt verwendet. Man staunt auch, wenn man liest, dass das Haus Habsburg seinerzeit drei Zuckerraffinerien sein Eigen nannte oder dass der Ausbau des Eisenbahnnetzes in Österreich eng mit der Anlieferung von Zuckerrüben in die Fabriken verknüpft war. Und man wird zudem daran erinnert, dass der Würfelzucker eine altösterreichische Erfindung ist: Erdacht wurde er von Jacob Christoph Rad im heute tschechischen Dačice – er wollte seiner Frau ersparen, dass sie sich immer verletzte, wenn sie die harten Zuckerhüte mit einem Beil zerhacken musste.

Die Verfügbarkeit von (relativ) billigem Zucker ermöglichte Entwicklungen in vielen Bereichen. Und zwar nicht nur in so naheliegenden wie der Wiener Mehlspeisküche, sondern sogar in der Metallindustrie: Carl Auer von Welsbach schaffte den Durchbruch bei seiner Metallfadenlampe erst, als er Osmiumpulver mit Zucker vermischte und so ein drahtförmiges Gebilde herstellen konnte.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ ist nun Chefredakteur des „Universum Magazins“.

martin.kugler@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2014)

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