Wort der Woche

Wie stark der Mensch das Antlitz der Erdeverändert, wurde bei einem großen Geologen-Kongress in Wien erneut deutlich.

Eduard Suess war ein visionärer Forscher. 1862 zum ersten Geologie-Professor an der Universität Wien berufen, war er nicht nur die treibende Kraft hinter den Wiener Hochquellwasserleitungen und der Donauregulierung, er legte in seinem monumentalen Werk „Das Antlitz der Erde“ (ab 1883) auch den Grundstein der modernen Geologie. Ihm wurde diese Woche anlässlich seines 100. Todestages mit einem Festsymposium in der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gedacht. Und auch die Generalversammlung der Europäischen Geowissenschaftlichen Gemeinschaft (EGU), zu der diese Woche 12.000 Forscher nach Wien kamen, stand unter dem Titel „The Face of the Earth“.

So umfassend und visionär Suess' Ideen auch waren: Einen wichtigen Einflussfaktor auf das Antlitz der Erde, der bei der EGU-Tagung eine große Rolle spielte, hat er nicht behandelt: den Einfluss des Menschen im aktuellen Zeitalter des „Anthropozäns“. Damals war noch nicht vorstellbar, wie umfassend der Menschen eingreift – etwa durch Veränderungen der Landschaft, die die natürlichen Sedimentationsprozesse weit übertreffen, durch die Versauerung des Meerwassers (infolge des steigenden CO2-Gehalts der Luft) oder durch die veränderten Stickstoff- und Phosphorkreisläufe (wegen der Düngung).

Die Eingriffe sind massiv. Ein Beispiel brachte der Wiener Geograf Ronald Pöppl: Er hat am Kajabach im Waldviertel untersucht, welchen Einfluss Dämme auf die Sedimentation in Rückhaltebecken und die verstärkte Erosion bachabwärts haben. Allein in diesem kleinen Gerinne wurden imposante 542 Kubikmeter Sedimente durch des Menschen Werk umgelagert.

Ein anderes frappierendes Beispiel ist das Absinken von Megacitys in Küstenlandschaften. Das Land, auf dem etwa Jakarta, Ho Chi Minh City, Bangkok oder Shenzhen errichtet wurde, senkt sich jährlich um einige Millimeter: Zum einen drückt etwa das Gewicht der Gebäude auf den sandigen oder schlammigen Untergrund, zum anderen schrumpft der Boden wegen der exzessiven Entnahme von Grundwasser. Gilles Erkens (Uni Utrecht) berichtete, dass viele Küstenstädte zehnmal schneller absinken, als der Meeresspiegel steigt.

Eine gute Nachricht kam von Pietro Teatini (Uni Padua): Er zeigte, dass das menschengemachte Absinken Venedigs gestoppt wurde, seit in den 1980er-Jahren die Entnahme von Grundwasser eingeschränkt wurde. Der Mensch kann also sehr wohl steuern, wie stark er das Antlitz der Erde verändert.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazin“.

martin.kugler@diepresse.com 

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2014)

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