Virtuelles Wasser

In Form von virtuellem Wasser werden riesige Mengen des kostbaren Nasses durch die ganze Welt transportiert. Das kann auch zu Problemen führen, meinen Experten.

Die vielleicht drei Liter Wasser, die wir täglich zu uns nehmen, sind nur ein Bruchteil unseres Wasserbedarfs von 4380 Litern pro Kopf und Tag. Auch die 114 Liter zum Duschen, Kochen, Wäschewaschen etc. fallen da nicht groß ins Gewicht. Der Löwenanteil geht auf das Konto von virtuellem Wasser, das bei der Produktion aller Güter, die wir konsumieren, eingesetzt wird. Für ein Kilo Brot zum Beispiel werden 1600 Liter Wasser benötigt (für Bewässerung, Verarbeitung usw.), für ein Kilo Rindfleisch 15.000 Liter, für ein Hühnerei rund 200 Liter. Auch in anderen Produkten steckt virtuelles Wasser: Ein T-Shirt schlägt mit 2000 Litern zu Buche, ein Computerchip mit 32 Litern, ein einzelnes Blatt Papier mit zehn Litern.

Virtuelles Wasser kann problemlos transportiert werden: UN-Schätzungen zufolge werden 40 Prozent des globalen Wasserverbrauchs in Form von Produkten gehandelt. Das bedeutet zum Beispiel, dass Länder in trockenen Gegenden, die Weizen importieren müssen, damit quasi auch das Wasser einführen, das sie selbst zum Anbau nicht haben. Die größten Exporteure von virtuellem Wasser sind Brasilien, Thailand und die USA, praktisch alle europäischen Länder – auch Österreich – sind Importeure von virtuellem Wasser.

Das ist kein Problem, solange bei den Exporteuren genügend Wasser vorhanden ist. Was aber nicht immer der Fall ist. Ein krasses Beispiel beschrieb Laixiang Sun, Forscher an der Universität Maryland und am Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg, kürzlich in der Fachzeitschrift „Environmental Science & Technology“. Demnach herrscht innerhalb Chinas ein Ungleichgewicht: Die reichen Küstenregionen wie Peking oder Shanghai exportieren mit den Produkten viel virtuelles Wasser in alle Welt, diese Ballungsräume beziehen aber gleichzeitig virtuelles Wasser (in Nahrungsmitteln für die wachsende Bevölkerung) aus dem Landesinneren, wo Wasser knapp ist. Die Exporterfolge verschärfen also den Wassermangel in Regionen, die kaum von den Erlösen profitieren.

China baut derzeit bekanntlich mit Milliardenaufwand Kanäle aus dem feuchten Süden in den trockenen Norden. Laixiang Sun bezweifelt, dass das gut angelegtes Geld ist. Denn effizienter wäre es wohl, die Lebensmittel gleich im Süden, wo reichlich Wasser vorhanden ist, zu produzieren. Eine Einsicht, die einem eigentlich der gesunde Menschenverstand sagt – und die der Forscher nun auch mit harten Zahlen belegen kann.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

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