"Wunderbohne" Soja

Eine Vision wurde zur Illusion: Die Weltkarriere der "Wunderbohne" Soja, die Fleisch ablösen sollte und es heute als Tierfutter gedeihen lässt.

Herr Haberlandt hatte eine Vision: Statt aufwendig produzierten Fleisches könnte doch auch ein Pflanze – nämlich Soja – die Basis für eine kostengünstige und gleichzeitig gesunde Ernährung sein. Dieser Gedanke klingt sehr modern: Die Tierzucht verschlingt Unmengen an Futtermitteln, und Anbauflächen (für die auch Regenwald gerodet wird), sie ist direkt und indirekt für hohe Emissionen von Treibhausgasen und Stickstoffverbindungen verantwortlich; außerdem ist hoher Fleischkonsum alles andere als gesund.

Friedrich Haberlandt hatte seine Vision, aber nicht in unseren Tagen, sondern im Jahr 1873: Der Pflanzenbauprofessor an der Hochschule für Bodenkultur lernte bei der Wiener Weltausstellung fernöstliche Gewächse kennen, darunter Soja. Diese seit 3000 Jahren in der Mandschurei kultivierte Bohne enthält fast 40 Prozent Öl und rund 20 Prozent Protein. Haberlandt startete umgehend Anbauversuche, ein paar Jahre später starb er aber, und mit ihm die Idee. Seine Vision wurde aber dennoch wahr – wenn auch auf ganz andere Weise, als er es beabsichtigt hatte: Der Professor dachte nämlich daran, Soja so wie in Fernost als Gemüse zu verspeisen – heute hingegen sind Sojabestandteile das weltweit wichtigste Tierfutter.

Wie es dazu kam, hat der Historiker Ernst Langthaler untersucht: In einer eben veröffentlichten Studie beschreibt der Leiter des Instituts für Geschichte des ländlichen Raums in St. Pölten, wie US-Farmer in der Zwischenkriegszeit die „Wunderbohne“ Soja entdeckten. Vor allem im Zweiten Weltkrieg war Sojaöl ein gesuchter Industrierohstoff, das Sojamehl (der proteinreiche Rest nach dem Abpressen des Öls) wurde als Eiweißfuttermittel in alle Welt exportiert.

Nach der Liberalisierung der globalen Agrarmärkte übernahm Brasilien das Ruder. Den Rest kennt man: Europa ist heute völlig auf Sojalieferungen aus Südamerika angewiesen; anders könnte unser Fleischhunger niemals befriedigt werden. Zudem ist – Ironie der Geschichte – das Ursprungsland der Sojabohne, China, mittlerweile der weltgrößte Importeur von Soja. Im Unterschied zu früher wird dieses von den Chinesen aber nicht als Gemüse verspeist, sondern dient nun auch dort überwiegend der Tierzucht.

Ergo: Soja verdrängte die Fleischproduktion nicht, sondern ermöglichte erst deren Expansion. Und so mutierte Haberlandts Vision von einer sojabasierten Ernährung zu einer Illusion, lautet Langthalers Resümee.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

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diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2014)

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