Die Grippe: Krankheit voller Rätsel

Die Grippe ist eine Krankheit voller Rätsel. Manche Unklarheiten des von Viren verursachten Leidens konnte die Wissenschaft schon erhellen – aber bei Weitem nicht alle.

Die Grippe, die alljährlich wie eine Welle über die Erde zieht, ist eine rätselhafte Krankheit. Das beginnt schon beim Erreger, den Influenzaviren. Diese bestehen zwar aus Biomolekülen – Erbinformation in einer Proteinhülle –, sie sind aber selbst nicht lebensfähig. Zur Vermehrung bedienen sie sich Zellen in Wirtsorganismen, die dabei geschädigt werden. Lange Zeit hatten die Menschen davon freilich keine Ahnung, und das spiegelt sich auch in den Begriffen wieder: „Virus“ bedeutet schlicht und einfach „Gift“, und „Influenza“ stand die längste Zeit für einen schlechten Einfluss auf den Menschen – etwa durch ungünstige Planetenkonstellationen („coeli influencia“) oder durch Kälte („influenza di freddo“).

Influenza-Viren verändern sich ständig: Sie hüpfen scheinbar mühelos zwischen verschiedenen Wirtsorganismen – Menschen, Vögeln, Schweinen – hin und her und nehmen dabei stets auch neue Erbinformationen mit. Daher lässt sich kaum exakt vorhersagen, welcher Influenza-Stamm in der nächsten Grippesaison aktuell sein wird. So deckt sich der für heuer produzierte Grippeimpfstoff nicht völlig mit den A(H3N2)-Viren, die gerade um die Welt ziehen – einen gewissen Schutz bieten die Impfstoffe aber trotzdem!

Ebenso rätselhaft ist, ob eine Grippewelle voll zuschlagen wird (wie vor zwei Jahren) oder ob sie (wie im Vorjahr) eher sanft verlaufen wird. Über die Gründe dafür kann nur gemutmaßt werden: Spielt ein milder Winter eine Rolle? Oder waren im Vorjahr mehr Menschen wegen einer früheren Infektion mit aggressiven Stämmen resistent? Wie die heurige Grippesaison – die gerade startet – verlaufen wird, ist noch völlig offen.

Doch manche Grippe-Rätsel werden auch kleiner: So konnten Wiener Forscher kürzlich klären, warum Grippepatienten anfälliger für bakterielle Infektionen sind – die meisten Todesopfer sind ja nicht durch die Influenza selbst, sondern infolge von Sekundärinfektionen v.a. der Lunge zu beklagen. Demnach produzieren Patienten eine Substanz, die eine überschießende Entzündungsreaktion bei der Virenabwehr verhindert – dieser „gute“ Mechanismus führt aber gleichzeitig dazu, dass eine andere Abwehrreaktion gegen Bakterien erlahmt (Nature Immunology, 16, S.67).

Diese Erkenntnis allein hilft zwar noch nicht weiter. Aber vielleicht motiviert sie so manchen Grippekranken zumindest dazu, das einzig Richtige zu tun: Wer sich krank fühlt, gehört ins Bett!


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2015)

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