170 Jahre altes Bier

Kürzlich wurde 170 Jahre altes Bier chemisch analysiert – und auch verkostet. Dennoch wissen wir weiterhin nicht, wie das Getränk in vergangenen Jahrhunderten geschmeckt hat.

Bier zählt zu unseren ältesten Kulturleistungen: Unmittelbar nach dem Sesshaftwerden begannen die Menschen, aus Getreide Bier zu brauen – manche Forscher meinen sogar, dass das Verlangen nach Bier die eigentliche Triebfeder für die Erfindung der Landwirtschaft gewesen sein könnte. Die ältesten erhaltenen Bierrezepte stammen aus dem alten Babylon und aus Ägyptern.

Man schätzte Bier aus mehreren Gründen: Erstens ist es hygienisch – es wurde bei der Herstellung gekocht, und durch den Alkoholgehalt ist es haltbar. Zweitens ist Bier nahrhaft (es ist ja im Grunde verflüssigtes und vergorenes Brot). Drittens wurde die berauschende Wirkung geschätzt. Um diese noch zu steigern, wurde Bier regelmäßig auch mit halluzinogenen Kräutern wie Bilsenkraut, Stechapfel, Sumpfporst oder mit getrockneten Fliegenpilzen versetzt. Der beruhigend wirkende Hopfen kam erst ab dem 12. Jahrhundert n.Chr. auf.

Offenbar – und viertens – hat Bier den Menschen auch geschmeckt. Wir können heute allerdings nicht mehr sagen, wie es wirklich geschmeckt hat. Es gibt zwar viele Beschreibungen und alte Rezepte – doch Worte sind das eine, Sinneseindrücke etwas anderes. So wurden etwa die Hauptzutaten Gerste und Hopfen seither stark weitergezüchtet.

Einen direkten Blick in die Vergangenheit bot kürzlich der Fund mehrerer Bierflaschen an Bord eines Schiffes, das in den 1840er-Jahren in der Ostsee gesunken war. Taucher holten fünf Bierflaschen an die Oberfläche, eine zerbrach dabei, Augenzeugen berichteten, dass ihr Inhalt schäumte. Im Labor wurden nun zwei Flaschen genau analysiert (Journal of Agricultural and Food Chemistry, 63, S.2525): Das Bier war leicht (drei Prozent Alkohol), die Hefe-Aromen ähnelten jenen heutiger Biere, der Hopfen hatte aber eine völlig andere Zusammensetzung. Das Bier enthielt zudem viele organische Säuren – wobei unklar ist, ob es sich um Veränderungen in den 170 Jahren auf dem Meeresgrund handelt oder ob das Bier schon seinerzeit einer gemischten Hefe-Milchsäuregärung unterzogen wurde (wie etwa bei Berliner Weiße oder Leipziger Gose).

Wie das Bier seinerzeit wirklich geschmeckt hat, lässt sich also – leider – nicht exakt rekonstruieren. Auch eine Verkostung half nicht weiter: Durch die Korkstoppel war nämlich Meerwasser eingedrungen. Ein Forscher beschrieb den Geschmackseindruck denn auch als „unangenehm sauer, salzig“. Und er fügte hinzu: „Man würde nicht von Bier ausgehen.“


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2015)

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