Weit entfernt von der Kreislaufwirtschaft

Wie weit die Menschheit von einer Kreislaufwirtschaft entfernt ist, haben österreichische Forscher nun berechnet.

Völlig im Einklang mit der Natur hat der Mensch wahrscheinlich nie gelebt. Er ist zwar selbst Teil der natürlichen Kreisläufe, doch schon in der Zeit, als er noch Jäger und Sammler war, hat er bereits durch das selektive Töten von Tieren das natürliche Gleichgewicht gestört: nicht nur, dass er manche Arten dezimiert oder nahezu ausgerottet hat – der Mensch hat durch die Jagd auf große Pflanzenfresser wahrscheinlich auch an der Ausbreitung von Wäldern nach den Eiszeiten mitgewirkt.

Spätestens seit der „Erfindung“ der Landwirtschaft und schließlich durch die industrielle Güterproduktion greift der Mensch in großem Stil in die natürlichen Stoffflüsse ein. Das ist auch mit dem Begriff Anthropozän gemeint, mit dem manche Forscher das gegenwärtige Zeitalter bezeichnen.

Wie weit der Mensch mittlerweile von einer Kreislaufwirtschaft – bei der alle eingesetzten Rohstoffe wieder in den Produktionsprozess zurückgelangen – entfernt ist, haben kürzlich Wissenschaftler des Instituts für Soziale Ökologie der Uni Klagenfurt in einer Studie herausgearbeitet: Demnach entnimmt die Menschheit alljährlich 58 Milliarden Tonnen Materialien aus der Natur (knapp die Hälfte davon sind Energieträger) und scheidet 41 Milliarden Tonnen pro Jahr als Abfall wieder aus; die Differenz wird in Gebäuden, Infrastruktur und Geräten langfristig genutzt. Nur vier Milliarden Tonnen, also gut sechs Prozent der gesamten verarbeiteten Materialien, werden recycelt und wiederverwendet (Journal of Industrial Ecology, online 15.3.).

Die EU setzt – mangels eigener Rohstoffvorkommen – schon seit Längerem auf Recycling: In Europa werden daher immerhin 13 Prozent des Materialeinsatzes wiederverwertet. Im Vergleich zum Prinzip der Natur, dass Stoffströme stets in Kreisläufen geschlossen sind, ist allerdings auch dieser Wert mickrig. Die EU hat im Vorjahr eine ambitionierte Strategie veröffentlicht (die derzeit überarbeitet wird), um einer Kreislaufwirtschaft ein Stück näher zu kommen. In ihr sind sehr hohe Recyclingquoten gefordert – so sollen etwa 70 Prozent des Haushaltsmülls oder 80 Prozent der Verpackungsabfälle recycelt werden müssen.

All diese Ziele sind im Sinn eines sparsameren Umgangs mit Ressourcen gut und wichtig. Man darf sich aber angesichts der Dimensionen, die die österreichischen Forscher nun berechnet haben, keinen Illusionen hingeben: Der Mensch wird wohl niemals im völligen Einklang mit der Natur und seinen Kreisläufen leben können. Erst recht nicht mit unserem heutigen Lebensstil.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

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diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2015)

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