Wie begründet man Artenschutz?

Wie begründet man Artenschutz? Theologie und Naturwissenschaft gehen dabei verschiedene Wege – zu einer überzeugenden Begründung gelangen beide nicht.

Wenn die Gerüchte stimmen, wird Papst Franziskus Mitte Juni seine Umwelt-Enzyklika veröffentlichen – angeblich unter dem Titel „Laudato si“, angelehnt an den „Sonnengesang“ des Franz von Assisi, in dem Gott für (und durch) seine Schöpfung gepriesen wird. Der Inhalt ist noch geheim, er wird sich aber wohl in jenem Rahmen bewegen, der sich in jüngster Zeit in der katholischen Kirche verfestigt hat.

Ein zentraler Begriff ist die „Gemeinschaft des Lebens“ (der sich z. B. auch in der „Erd-Charta“ und in anderen Weltreligionen findet). „Alle Lebewesen haben denselben genetischen Grundkodex und sind deshalb miteinander verwandt, sie bilden eine echte Lebensgemeinschaft“, führt der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff, einer der Vordenker der Öko-Theologie, in seinem eben auf Deutsch erschienenen Buch „Befreit die Erde!“ (79 Seiten, 9,30 Euro, kwb), aus. Und weiter: „Diese Sichtweise flößt uns Respekt vor allem Lebendigen ein, weil es, ganz unabhängig von seinem praktischen Nutzen für die Menschen, einen Wert an sich hat.“

Intuitiv haben diese Sätze große Kraft – um als „rationale“ Begründung eines strikten Umwelt- und Artenschutzes dienen zu können, klingen sie aber doch etwas zu esoterisch.

Naturwissenschaftler wollen konkreter sein: Sie versuchen, den Wert von Arten durch ihren Nutzen für Ökosysteme und Menschen zu erfassen. Zwei aktuelle Beispiele: Sehr konkreten Nutzen hatten die Weltnaturschutzunion IUCN und die EU-Kommission im Auge, die gerade gemeinsam die Europäische Rote Liste der Heilpflanzen herausgaben – zumindest 2,3 Prozent der wichtigsten Heilpflanzenarten sind gefährdet, bei 31 Prozent schwinden die Bestände. Einen viel weiteren Fokus hat ein Übersichtsartikel über die Ökosystemleistungen vieler Arten, den Ökologen um Claude Gascon kürzlich veröffentlicht haben (Current Biology Review, R431, 18.5.). So imposant die Befunde auch sind, so unbefriedigend ist das Resümee: Es sei unmöglich, die ökologische Rolle aller Arten zu erfassen; weil aber immer wieder überraschende Ökosystemleistungen von Arten entdeckt würden, sei davon auszugehen, dass keine Art unwichtig ist – daher sollten gemäß dem Vorsorgeprinzip alle Arten geschützt werden.

Man sieht: Sehr viel konkreter als die ökotheologische Begründung ist jene von Naturforschern auch nicht.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2015)

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