"...mit offenen Mäulern und spitzigen Zähnen"

Die zwiespältige und vielschichtige Beziehung zwischen uns und wilden Tieren ist ein Dauerthema in der Menschheitsgeschichte.

Wilde Tiere machen Angst. Und wilde Tiere faszinieren. Den Zwiespalt der Gefühle, die sie in uns auslösen, kann man stets aufs Neue erleben, wenn man Wolf, Tiger & Co aus nächster Nähe betrachtet – und wenn auch nur durch eine dicke Glasscheibe. Die vielschichtige Beziehung zwischen Mensch und wilden Tieren kann in der gesamten Kulturgeschichte verfolgt werden – von den Fabeln im alten Griechenland bis hin zu Märchenstoffen à la Rotkäppchen.

Ein besonders interessantes Kapitel schlägt nun die Ausstellung „Echt tierisch! Die Menagerie des Fürsten“ im Tiroler Schloss Ambras auf: Gezeigt wird, dass die Habsburgerherrscher des 16. Jahrhunderts geradezu süchtig nach exotischen und wilden Tieren waren – wegen deren Faszination, aber noch viel mehr als Zeichen der Herrschaft. So wurden im „neuen“ Innsbrucker Tiergarten (am Gelände des heutigen Flughafens) Bären und Luchse gehalten; bei der Prager Burg entstand ein Löwenhof, wo auch Tiger, Leoparden und Zibetkatzen lebten; und in den Gärten der Wiener Schlösser Ebersdorf und Neugebäude waren neben Geparden auch Königsgeier und Wölfe untergebracht.

Die Faszination, die Wildtiere auf uns ausüben, hat freilich nichts daran geändert, dass wir sie (fast) ausgerottet haben. Nun kehren in Europa manche Arten zurück – Wölfe genauso wie Wildkatzen, Luchse oder Seeadler. Von den meisten Menschen wird das begrüßt: Viele empfinden die Natur nur dann als „intakt“, wenn auch die großen Beutegreifer wieder bei uns leben – bisher (noch) ungeachtet der Konflikte, die sofort wieder auftauchen. (Darüber werde ich morgen, Montag, mit dem Zoologen Kurt Kotrschal, dem Ökologen Josef Reichholf und dem Jagdexperten Philipp Harmer beim Science Talk „Rückkehr der Wildnis?“ in der Aula der Wissenschaften diskutieren; 19 Uhr, Wollzeile 27a.) Die allgemeine Empörung war jedenfalls groß, als kürzlich in einer Tiefkühltruhe in Oberösterreich ein abgeschossener Luchs gefunden wurde.

Doch wie würden die Österreicher reagieren, wenn das passiert, was sich vor zwei Wochen bei Trient zugetragen hat – wo ein Jogger von einem Bären angefallen wurde? Man darf wetten, dass die Stimmung schnell umschlagen und alte Bilder in den Köpfen wiederauferstehen würden. Solche, wie sie Goethe seinem Fuchs Reineke über den Wolf Isegrim in die Schnauze legte: „Zwölfhundert von Isegrims kühnen Verwandten werden kommen mit offenen Mäulern und spitzigen Zähnen.“


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

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diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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