Krebsimmuntherapie

Wiener Forscher berichten nun von imposanten Fortschritten in der Krebsimmuntherapie: eine Entwicklung, bei der man langen Atem braucht.

Es gibt die Theorie, dass in jedem von uns laufend Krebszellen entstehen, dass diese aber von einem gesunden Immunsystem unter Kontrolle gehalten – sprich abgetötet – werden. Leider funktioniert das nicht immer, Krebs ist eine der häufigsten Todesarten. Viele Forscher sind jedenfalls überzeugt, dass man zur Bekämpfung von Tumoren zusätzlich zu Chemotherapie, Operationen oder Bestrahlung auch das Immunsystem gezielt stimulieren sollte. Das ist aber nicht einfach, denn Krebszellen sind körpereigenes Gewebe – und das Immunsystem bekämpft primär körperfremde Zellen (Bakterien, Viren etc.). Krebszellen tragen zwar bestimmte Oberflächenstrukturen, die sie als problematisch erkennbar machen, doch im Immunsystem gibt es „Bremsen“, die deren Bekämpfung verzögern. Und das nutzen Tumorzellen brutal aus.

In den letzten Jahren wurden einige Substanzen gefunden, die diese Bremsen („Checkpoints“) lösen. Das Problem an diesen Verfahren: Sie sind teuer und haben viele Nebenwirkungen, zudem müssen die Wirkstoffe (Antikörper) per Infusion verabreicht werden. Anders wäre das bei kleinen Molekülen, die man auch als Tabletten einnehmen könnte.

Wiener Forschern ist dabei eine wichtige Entdeckung geglückt: Josef Penningers Biotech-Unternehmen Apeiron hat gemeinsam mit der Hamburger Firma Evotec die Substanz APN411 entdeckt, die einen Checkpoint namens cbl-b ausschaltet. Dazu wurden rund 100.000 niedermolekulare Substanzen an bestimmten Blutzellen durchgetestet. Die ersten Ergebnisse sind derart vielversprechend, dass der französische Pharmakonzern Sanofi für die nächsten zwei Jahre eine gemeinsame Projektgruppe mit mehr als 30 Forschern finanziert. Bei Erfolg winken Meilensteinzahlungen von bis zu 200 Mio. Euro – und in Zukunft eine Umsatzbeteiligung.

Bis dieses Medikament auf den Markt kommen könnte, wird es allerdings noch zumindest zehn Jahre dauern; und die Forschung wird bis dahin mindestens eine Milliarde Euro gekostet haben. Insgesamt dauert die Entwicklung dieser neuen Generation von Krebsmedikamenten also 30 Jahre – cbl-b wurde im Jahr 1995 entdeckt (woran Penninger seinerzeit beteiligt war).

Man sieht: Wissenschaft braucht einen langen Atem. Und irgendwann muss der Punkt kommen, an dem Forscher zur Umsetzung der Erkenntnisse mit Unternehmen kooperieren müssen.

Denn Wissenschaft ist kein Selbstzweck: Sie muss im Endeffekt den Menschen zugutekommen.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.08.2015)

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