Die Wiener Hofburg

Forscher der Akademie der Wissenschaften fügten der Frühgeschichte der Wiener Hofburg nun einige neue Kapitel hinzu.

Die Wiener Hofburg war wirklich einmal eine Burg, bevor sie zum Hof wurde. Man kann das ein bisschen nachvollziehen, wenn man über den teilweise noch vorhandenen Burggraben durch das in der Renaissance behübschte Tor in den Schweizerhof hineingeht, wo einige für eine Burg unabdingbare Einrichtungen erhalten sind: ein Brunnen etwa, oder eine Kapelle. Heute ist der einstige Vierkanter auf drei Seiten zugebaut und in einen der größten Gebäudekomplexe der Welt integriert.

Im „Dehio“, dem Handbuch der österreichischen Kunstdenkmäler, nimmt die Hofburg 84 eng bedruckte Seiten ein. Da sollte man eigentlich glauben, dass schon alles über die Habsburger-Residenz bekannt ist. Weit gefehlt: Eine Forschergruppe der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat sich in den vergangenen Jahren durch viele Archive gewühlt, hat Mauern geöffnet, hinter Verkleidungen geschaut und das Holz der Dachstühle analysiert – und stieß dabei auf viel bisher Unbekanntes.

Diese Woche wurden die Ergebnisse der Mittelalterforscher als dritter Teil einer fünfbändigen Serie – die am Ende mehr als 2700 Seiten umfassen wird – präsentiert (Mario Schwarz: „Die Wiener Hofburg im Mittelalter“, 599 S., Verlag der ÖAW, 89,9 €). Damit ist nun quasi amtlich, dass die Burg um fast ein halbes Jahrhundert älter ist als früher gedacht: Der bisher als Bauherr angesehene Ottokar II. Přemysl war nicht der Gründer, sondern „nur“ der Vollender. Die Wiener Burg, die im Zuge der Stadterweiterung ab den 1230er-Jahren errichtet wurde, erwies sich damit sogar als die älteste Kastellburg (mit vier Türmen) nördlich der Alpen!

Interessant ist, dass die Burgkapelle nicht von Anfang an eingeplant war. Das erklärt sich wohl daraus, dass zu Baubeginn der alte Babenberger-Herzoghof (Am Hof) noch intakt war. Erst nachdem dieser abgebrannt war, wurde der Hof in die damals neue Burg verlegt. Dann wurde auch eine Kapelle eingerichtet – die heutige Hofburgkapelle ist die vierte in der zeitlichen Abfolge. Die Habsburger, die die Burg übernommen hatten, bezogen auch die Stadtviertel rundherum in ihre Planungen mit ein. So wurden etwa auf den Nachbarparzellen die seinerzeit wichtigsten Adelsfamilien angesiedelt. Kaiser Friedrich III. gab sogar einen 600 Meter langen auf Pfeilern gestützten Gang über den Straßen und Dächern Wiens in Auftrag, der die Hofburg mit dem Stephansdom verbinden sollte – ähnlich dem Passetto in Rom, durch den die Päpste unbemerkt und unbehelligt von Freund und Feind vom Vatikanpalast zur Engelsburg gehen konnten . . .


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

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diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2015)

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