Ist die Menschheit zur Gewalt verurteilt?

Die Antwort des Wiener Wissenschaftstheoretikers Franz M. Wuketits fällt eher pessimistisch aus.

Weihnachten ist das Fest der Liebe. Das nach christlicher Überzeugung mit der Geburt des „Heilands“ begonnene Erlösungswerk habe aber die vom Menschen verursachten Übel nicht aus der Welt beseitigen können, stellt Franz M. Wuketits in seinem neuen Buch, „Mord. Krieg. Terror“ (147 Seiten, Hirzel 23,50 Euro), fest. „Wer irgendwann auf eine friedliche Welt gehofft hat, dessen Hoffnungen haben sich nicht erfüllt“, so der Wissenschaftstheoretiker der Uni Wien. Die Zahlen geben ihm recht: Laut dem britischen Politologen John Baylis sind in den vergangenen 6000 Jahren rund 3,5 Milliarden Menschen Kriegen und ihren Folgen zum Opfer gefallen sind – das ist jeder dreißigste Erdenbürger. Und laut UNO-Statistiken gab es allein im Jahr 2012 weltweit 437.000 Morde.

Die entscheidende Frage, die Wuketits im Untertitel des Buches stellt, lautet: „Sind wir zur Gewalt verurteilt?“ Stammesgeschichtlich sei der Mensch mit vielen Neigungen ausgestattet – unter ihnen auch Aggressivität im Konkurrenzkampf oder das Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit. Diese dienten dem Überleben, machten uns aber auch anfällig z. B. für Ideologien, Feindbilder oder Gewaltfantasien. „Der Mensch ist nicht des Menschen Wolf, denn Wölfe sind sehr soziale Tiere und pflegen sich nicht gegenseitig umzubringen.“ Und: Jedes auch noch so primitive Werkzeug setzte der Mensch gezielt auch gegen seinesgleichen ein.

Das ist aber nur eine Seite der Medaille: „Hätten unsere stammesgeschichtlichen Ahnen tatsächlich nichts anderes im Sinn gehabt als einander die Köpfe einzuschlagen, dann wären sie erst gar nicht unsere Ahnen geworden – und wir wären als Gattung längst nicht mehr da“, so Wuketits. Ergo: „Ein Mindestmaß an kooperativem und helfendem Verhalten muss der Mensch bereits in den frühen Stufen seiner Evolution entwickelt haben.“

Wo dieser Sinn für das Gemeinsame herkommt, wird heftig diskutiert. Manche Forscher, wie Martin A. Nowak, sehen in Kooperation ein Grundprinzip der Evolution, andere eher eine kulturelle Leistung des Menschen. Wie dem auch sei: Unser Verhalten den Mitmenschen gegenüber ist das Ergebnis des Zusammenwirkens vieler Faktoren – die wir zwar kennen, aber großteils nur schwer beeinflussen können. „Unser stammesgeschichtliches Erbe zu leugnen wäre ebenso fatal, wie die Bedeutung der Erziehung und der positiven Vorbilder zu verkennen“, schreibt Wuketits. Seine Antwort auf die Frage, ob wir zur Gewalt verurteilt seien, fällt daher eher pessimistisch aus.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum-Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2015)

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