Crispr

Im vergangenen Jahr ist die Gentechnik durch eine technische Revolution außer Rand und Band geraten. Sie heißt Crispr und ermöglicht punktgenaues Manipulieren von Genen.

Seit einem Jahr gelten die Mendel'schen Regeln der Vererbung nicht mehr, zumindest nicht bei den Molekularbiologen: In ihrem Labor an der UC San Diego experimentierten Valentino Gantz und Ethan Bier mit Fruchtfliegen, deren Weibchen ein rezessives Gen hatten. Wenn es sich durchsetzt, werden die Jungen Albinos – laut Mendel setzt es sich bei 25 Prozent der Jungen durch. Aber in San Diego waren alle Jungen Albinos: „Es war, als wäre die Sonne im Westen anstatt im Osten aufgegangen“, erinnert sich Bier. Im Frühjahr dann stand das Mirakel in Science: „The mutagenic chain reaction“.

Ermöglicht wurde die Kettenreaktion im Zellkern durch die jüngste Finesse der Gentechnik. Sie heißt Crispr und ermöglicht punktgenaue Eingriffe in Genome: Das Instrument besteht aus zwei Teilen, einer RNA, die exakt an erwünschte DNA bindet, und einem Enzym. Es schneidet das Zielgen heraus, in einer Variante bringt es ein Ersatzgen mit und baut es ein. Das klingt einfach, es ist technisch auch einfach – und es macht alles anders, verspricht etwa die Heilung vieler Erbkrankheiten.

Dieses Einsatzgebiet heißt „genome editing“ und soll etwa von Thalassämie befreien, einer erblichen Blutkrankheit. Dazu muss man in Embryos nur das kranke Gen durch ein gesundes ersetzen. Dieses Experiment fand in China an nicht lebensfähigen Embryos statt. Es lief schlecht: Von 86 Embryos erhielten ganze vier das gesunde Gen, und auch das nur partiell. Das Experiment brachte zudem schlechte Presse: Es macht die genetische Manipulation erblich und eröffnet die Perspektive des Menschen nach Maß.

Ein zweites Experiment im Sommer hatte mehr Erfolg, diesmal ging es um den potenziellen Einsatz von Schweinen als Lieferanten für Organtransplantate. Dies ist bisher unter anderem deshalb nicht möglich, weil im Schweinegenom Retroviren sind, die gefährlich sein können. Georg Church (Harvard) schaltete 62 Stück davon mit Crispr aus.

Das Echo blieb verhalten, denn inzwischen schrillten die Alarmglocken bei der zweiten großen Anwendung, „gene drive“. Dabei wird ein eingebautes Gen automatisch auf das andere Chromosom umkopiert – damit kann man Gene rasch durch ganze Populationen verbreiten. Das wollen Gantz und Bier, sie führten an den Fruchtfliegen nur den „proof of principle“. Ihre Ziele sind andere Insekten: Moskitos, die Malaria verbreiten. Sie könnte man mit Crispr so umbauen, dass sie den Erreger nicht mehr übertragen oder gleich ganz aussterben. Das ist die Perspektive der beiden Forscher.

Mit ihr zogen sie sich den Zorn der ganzen Zunft zu, allen voran jenes des neuen Superstars Church, der mit Crispr auch Erbkrankheiten therapieren will: „Es ist ein Schritt zu weit“, urteilte er über die Fruchtfliegen. Denn die ungeahnten Möglichkeiten sind auch mit ungeahnten Risken verbunden. Würde man Crispr-Moskitos freisetzen, würden sie ihre Gene zwar wie erwünscht über die ganze Wildpopulation verbreiten. Aber zurückholen könnte man die Gene nie mehr, auch nicht, wenn sie durch Unfälle aus Labors entkämen.

Deshalb jagt nun eine Konferenz die andere, die Zunft will den Geist irgendwie in die Flasche zurückzwingen. Das wird nicht gelingen, denn die Technik ist einfach zu handhaben, und man muss nicht viel Molekularbiologie können. Man kann allenfalls technische Sicherungen in Crispr einbauen.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2015)

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