Ehrlicher Dialog

Konflikte können nur durch ehrlichen Dialog bereinigt werden. Das wusste schon Ramon Lull, dessen Tod sich heuer zum 700. Mal jährt.

„Wir sollten einander lieben und unterstützen, und unter uns dürfte es weder Unterschied noch Gegensatz in Glauben und Sitten geben. Denn diese Unterschiede und Gegensätze sind es ja gerade, derentwegen wir uns feindlich gegenüberstehen, uns bekriegen, uns gegenseitig töten.“ Diese Sätze wurden in den 1270er-Jahren niedergeschrieben – und sie klingen heute so gültig wie damals. Verfasst hat sie Ramon Lull (latinisiert: Raimundus Lullus), ein mallorquinischer Gelehrter, der vor exakt 700 Jahren gestorben ist. Einer Legende zufolge (die für seine Seligsprechung herhalten musste) wurde er in Algerien von Moslems gesteinigt, die er zum Christentum bekehren wollte.

Rohe Gewalt war allerdings nicht Lulls Sache. Er setzte vielmehr – untypisch für eine Zeit, die von der Kreuzzugsidee geprägt war – auf Dialog und auf die Überzeugungskraft von Argumenten: Lull wollte durch Logik und Vernunft beweisen, dass das Christentum dem Judentum und dem Islam überlegen sei. Das ist ihm zwar nicht gelungen, aber auf dem Weg zu seinem Gedankengebäude, das als Lullismus noch Jahrhunderte fortwirkte, wurde er zum Vorreiter in gleich mehreren Wissensgebieten.

So ist Lull einer der Pioniere der westlichen Orientalistik: Er gründete das Kloster Miramar (das viel später vom naturforschenden Habsburger-Erzherzog Ludwig Salvator renoviert wurde), in dem angehende Missionare die orientalischen Sprachen erlernen sollten. Lull gilt weiters als „Großvater“ der Kybernetik und damit der heutigen Computertechnologie: Er entwickelte eine Denkmethode, mit der er systematisch Begriffe kombinierte, deren Verknüpfung er dann zu beweisen suchte. Bei dieser Methode nahm Gottfried Wilhelm Leibniz (dessen 300. Todestag wir heuer gedenken) Anleihen für die Entwicklung seiner Kombinatorik. Und schließlich wird Lull in seiner Heimat als Vater der katalanischen Schriftsprache angesehen: Er war der Erste, der seine rund 280 Bücher nicht auf Lateinisch, sondern in der Volkssprache verfasste – und einige auch in Arabisch und Hebräisch, die damals in Mallorca ebenfalls gebräuchlich waren.

In einer aufgeklärten und globalisierten Welt ist der Gedanke, dass eine Religion einer anderen überlegen sei, freilich antiquiert und überheblich. Aber zumindest eine seiner Leitideen bleibt bis heute gültig: Gegensätze und Konflikte lassen sich nur durch einen ständigen und ehrlichen Dialog lösen – „bis wir einen Weg finden, wie wir einander am besten ehren und dienen können, sodass wir zur Eintracht gelangen“, so Lull.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum-Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.