Geplante Obsoleszenz

Eine umfassende Studie verweist die geplante Obsoleszenz ins Reich der Mythen. Eine derart umfassende Verschwörung gegen die Konsumenten wäre auch kaum möglich.

Das Wort Obsoleszenz (vom lat. obsolescere, sich abnutzen) ist sprachlich ein Unwort – und doch ungeheuer populär. Es dient kritischen Verbrauchergruppen als Kampfwort gegen Sachgüterhersteller: Der Vorwurf lautet, dass diese ihren Produkten absichtlich durch minderwertige Bauteile eine kürzere Lebensdauer verpassen, damit sie mehr davon verkaufen können. Techniker bezeichnen diesen Vorwurf als absurd – aber er scheint unausrottbar.

Das deutsche Umweltbundesamt hat diese Woche einen 315 Seiten starken Bericht zum Thema veröffentlicht (www.umweltbundesamt.de).

Das Ergebnis: Die Lebensdauer vieler Produkte hat sich in der Tat verkürzt – doch es wurden keine absichtlich eingebauten Schwachstellen gefunden. Stattdessen eruierten die Experten zwei andere wesentliche Faktoren. Zum einen die ökonomische Obsoleszenz, also ob es sich lohnt, ein Produkt zu reparieren (und ob es überhaupt Reparaturdienstleister gibt). Und zum anderen die psychologische Obsoleszenz: dass Konsumenten immer das neueste Produkt wollen und oft schon lang vor dem Kaputtwerden einen Ersatz anschaffen.

Pointiert formuliert: Es sind vor allem die Konsumenten, die für eine kürzere Lebensdauer von Produkten verantwortlich sind. Die Hersteller wollen deren Erwartungen erfüllen und konzipieren danach ihre Produkte – zu möglichst geringen Kosten.

Im Licht dieser Erkenntnisse ist die viel kritisierte geplante Obsoleszenz daher wohl eher als Mythos zu sehen. Sie reiht sich offenbar ein in eine ganze Schar von Urban Legends oder gar Weltverschwörungstheorien, die hinter allem und jedem eine bösartige Absicht zum Schaden der Menschen sehen.

Ob solche Verschwörungen realistisch sind, hat sich kürzlich David Robert Grimes (Oxford University) angesehen. Er hat echte Verschwörungen (von NSA bis Watergate) analysiert und diese Formeln auf angebliche Verschwörungen (Mondlandung, Klimawandel etc.) angewandt. Ergebnis: Eine Verschwörung bricht spätestens nach fünf Jahren zusammen, wenn mehr als 2531 Menschen involviert sind (PLoS One, 26. 1.).

Je weniger Menschen beteiligt sind, umso länger lässt sich eine Verschwörung aufrechterhalten (bei 502 Personen z. B. sind es 50 Jahre).

An der Herstellung von Konsumgütern sind jedenfalls sehr viel mehr Akteure beteiligt – sodass eine konzertierte Verschwörung zum Schaden der Konsumenten in kürzester Zeit zusammenbrechen müsste . . .

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2016)

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